Zum ersten Mal: Abends auf Teenie-Töchter warten

oder: Mit zweierlei Maß

Als ich knapp 15 Jahre alt war, bin ich das erste Mal allein mit einer Freundin verreist. Es war im Jahr 1993 und unser Ziel war Bornholm. Wir sind mit dem Zug von Berlin nach Sassnitz gefahren, von dort mit der Fähre nach Rønne, dann mit den Rädern rund 30 Kilometer zu einem Campingplatz im Süden der Insel. Dort haben wir eine Woche lang zu zweit in einem kleinen Kuppelzelt übernachtet. Erst dann kamen auch unsere Eltern nach Bornholm.

Meine Freundin war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt, aber ich weiß nicht, ob das allein erklärt, wieso meine Eltern diesem Abenteuer zugestimmt haben. Ich erinnere mich nicht daran, dass ich sie sonderlich hatte beknien müssen. Was war nur los gewesen mit ihnen? Das frage ich mich aus meiner heutigen Perspektive als Mutter dreier Töchter im Alter von 16, 13 und 10 Jahren.

Gestern sind mein Mann und ich das erste Mal in unserem Elternleben abends extra wach geblieben, um auf unsere älteste Tochter Belle zu warten. Sie war mit ihren beiden besten Freundinnen im Kino. Alle Lichter in unserer Wohnung waren schon ausgeschaltet, mein Mann und ich lagen hundemüde im Bett und warteten und warteten und starrten Löcher in die Dunkelheit, bis sie gegen 23 Uhr nach Hause kam. Wir wussten, wann der Film zu Ende gewesen war, wann sie die U-Bahn bestiegen und wann den U-Bahnhof Berliner Straße passiert hatte. Als ich damals auf Bornholm war, gab es keine Handys, zumindest nicht flächendeckend, von internetfähigen Smartphones ganz zu schweigen. Ich nehme an, dass meine Freundin und ich aus einer Telefonzelle vom Campingplatz aus unsere Eltern angerufen haben, um ihnen mitzuteilen, dass wir gut angekommen waren. Bestimmt war es ein R-Gespräch, ein Telefonat, bei dem der Angerufene die Kosten übernimmt.

Belle plant, im nächsten Sommer mit ihren beiden besten Freundinnen nach Paris zu fahren. Sie wäre dann knapp 17. Ich glaube, ich stimme zu. Das gilt aber nur, wenn sie nicht vorhaben, ihre Fahrräder mitzunehmen.

Auf Bornholm hatten wir damals eine Menge Spaß. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie wir in der Gemeinschaftsküche unser Essen zubereitet haben. Den Käse für unsere Knäckebrote haben wir immer ganz akkurat an deren Größe angepasst und zurechtgeschnitten. Wir haben junge Dänen kennengelernt, in den einen habe ich mich Hals über Kopf verknallt. Er hieß Martin. Ich glaube nicht, dass es dazu gekommen wäre, hätte ich meine Eltern im Schlepptau gehabt.

Als ich 16 geworden bin, habe ich eine Party mit zig Leuten bei uns zu Hause gefeiert. Es wurde zumindest auch Bier getrunken. Das weiß ich, weil es ein Foto gibt, auf dem ein Freund meines Bruders seinen Arm um mich legt und in seiner Hand eine Bierflasche zu sehen ist. Belle findet Treffen, bei denen Alkohol fließt, doof. Da haben wir erfreulicherweise etwas gemeinsam. Ich trinke so gut wie nie Alkohol. Belle hat meines Wissens auch noch nie gekostet. Das kann ich von meinem 16-jährigen Ich nicht behaupten. Wäre es okay für mich, wenn sie Whiskey Cola aus Dosen trinkt wie ich damals ab und zu? Ich glaube nicht.

Wenn ich als Jugendliche auf Partys gegangen bin, durfte ich selbst entscheiden, wann ich wieder nach Hause komme. Meinen Eltern sollte ich vorab nur die Uhrzeit nennen. Daran musste ich mich halten, damit sie wussten, wann sie mit mir rechnen konnten. Auf vielen Partys war ich gemeinsam mit meinem Bruder, der zwei Jahre älter ist. Vielleicht erklärt das den entspannten Umgang meiner Eltern mit solchen Themen? (Hat er auf solchen Partys eigentlich auf mich aufgepasst oder ich auf ihn?)

Ich glaube, meine Eltern waren aus Überzeugung antiautoritär. Viele Dinge sollte ich selbst entscheiden, schon in jungen Jahren. Als Erwachsene sage ich dazu: zu viel Verantwortung, zu viel Freiheit. Als Jugendliche fand ich das aber natürlich super.

Was meine Töchter betrifft, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich sie mit knapp 15 irgendwo hinfahren lassen würde oder es getan hätte, erst recht nicht mit dem Zug, der Fähre und dem Fahrrad. Ohne Helm! (So wie wir damals in den 90ern nun mal herumgesaust sind, mit vom Fahrtwind zerzausten Haaren.) Auf den Campingplatz! Was da nicht alles hätte passieren können! Das denke ich mir aus meiner heutigen Perspektive als Mutter dreier Töchter im Alter von 16, 13 und 10 Jahren. Meine Eltern haben es wahrscheinlich auch gedacht, zumindest meine Mutter. Aber sie haben mich dennoch fahren lassen. Danke dafür.

8 Kommentare zu „Zum ersten Mal: Abends auf Teenie-Töchter warten“

  1. Ich denke, beim zweiten Mal Warten auf den Nachwuchs wirst du entspannter sein. Erst recht beim dritten Mal. Man muss auch langsam in diese Rolle hineinwachsen, dass die Teenager-Kinder peu-à-peu zu Nachteulen werden, während man im Gegenzug immer früher ins Bett möchte 😉

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    1. Ja, wahrscheinlich wächst man da hinein. Unsere zweite Tochter wird uns in Sachen „Ausgehen“ vielleicht sogar schon früher auf die Probe stellen. Darauf müssen wir uns irgendwie mental vorbereiten. Vielleicht können wir sie dann mit ihrer großen Schwester mitschicken, dann wären sie wenigstens zusammen unterwegs so wie ich damals mit meinem Bruder.
      Ich kann mich übrigens daran erinnern, dass meine Mutter auch manchmal (oder immer?!) noch wach war, wenn ich nach Hause kam … Den Job muss dann mein Mann übernehmen. Der braucht nicht so viel Schlaf wie ich. 😉

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  2. Liebe Sophie, Du hast allen Grund Deinen Töchtern zu vertrauen, also: loslassen! Unsere Eltern waren darin Experten (in vielem anderen nicht…) und ich glaube, es ist etwas Tolles. Ja, es bereitet einem die ein oder andere Sorge, aber es ist auch für alle eine wichtige Erfahrung. Und wie Dein Beitrag zeigt: es ist auch der Boden für Erinnerungen, an die man Jahrzehnte später noch zurückdenkt.

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    1. Liebe MissLazy, meinen Töchtern vertraue ich blind – das ist nicht das Problem! Aber Berlin scheint mir nicht an jeder Ecke rundum sicher zu sein … 😉 Aber ich gebe dir recht: Loslassen ist wichtig. Ich bemühe mich darum.
      Gestern Abend hätte ich im Hinblick auf den Rückweg vom Kino übrigens tiefenentspannt sein können. Beim Aussteigen ist unsere Älteste doch tatsächlich ihrem Patenonkel über den Weg gelaufen, der in derselben U-Bahn gesessen hatte – und wie sich eben herausgestellt hat auch im selben Film. 😉 Typisch Berlin, würde ich sagen. Man denkt, man lebt in der Großstadt, aber am Ende fühlt man sich oft genug wie auf einem Dorf.
      Herzliche Grüße!

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  3. Wieder ein Volltreffer, liebe Sophie. Du schreibst meine aktuellen Gedanken auf. Ja, unsere Eltern ließen uns viel mehr allein unternehmen. Ist es nun die Gesellschaft, die risikobewusster geworden ist? Aber ist das positiv? Gut für die jungen Leute? Was die Selbständigkeit angeht, sicher nicht. Klar, das Trinken könnte ruhig später zum Thema werden. In der Disco, und erst recht bei privaten Feiern, war Alkohol Ende der 80er-Jahre für Sechzehn- /Siebzehnjährige normal. Ich weiß auch, dass unsere Große zwar immer von alkoholfreiem Mojito spricht, aber ganz sicher auch schon hier und da einen richtigen getrunken hat. Aber ich hoffe auch, dass sie viel, viel zurückhaltender ist als ich/ wir damals war/waren. In Italien gibt es alkoholische Getränke offiziell erst ab 18, in Deutschland Bier und Wein ab 16, stimmts? Im Sommer, sie war 16 1/2, durfte sie sich im Biergarten in Dresden ein Radler bestellen. Muss doch zu etwas gut sein, die doppelte Staatsbürgerschaft. 😉 Liebe Grüße!

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    1. Du hast so recht, liebe Anke. Ich frage mich das alles natürlich auch. Es ist eine Gratwanderung und ich bin ganz froh, dass unsere Große bislang eher nicht um die Häuser zieht und wir noch keine Grenzen mit ihr aushandeln mussten.
      Lustig, dass du diese Altersgrenze für den Alkoholkonsum ansprichst, das habe ich nämlich vorhin gerade nachgelesen. Ab 16 dürfen Jugendliche in Deutschland in der Öffentlichkeit Bier, Wein und Sekt trinken und kaufen. Und was ich noch viel interessanter finde: Jugendliche ab 14 Jahren dürfen die eben genannten alkoholischen Getränke trinken, wenn die Eltern mit dabei sind …!!! Das hat mich echt überrascht, denn ich käme nicht auf den Gedanken, Supergirl im nächsten Jahr ein Glas Sekt anzubieten. Ist das nicht schlecht für die Gehirnentwicklung? Aber gut, das hat mich damals, als ich Teenager war, auch nicht sonderlich interessiert. Wichtig ist ja vor allem, sein Limit zu kennen. Na, ich bin gespannt, wie das alles bei uns weitergeht und halte dich auf dem Laufenden. 😉
      Herzliche Grüße!

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  4. Ich glaube, es waren andere Zeiten. Ich durfte auch vieles, was ich meinen Jungs nicht erlauben würde. Wir waren mit 15, 16 Jahren ständig auf Partys. Natürlich durften wir offiziell weder rauchen noch trinken, aber wir haben es halt doch gemacht. Zu dieser Zeit dachte ich, dass wir uns total geschickt anstellen, aber im Nachhinein glaube ich, dass meine Eltern das sehr wohl wussten.

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    1. Wir waren auch ständig auf Partys, vor allem bei anderen zu Hause und damit mehr oder weniger um die Ecke. Meine Eltern mussten sich also wenigstens keine Sorgen um den Rückweg machen, denn der war in den meisten Fällen nicht weit. 😉

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