Immer wieder: Teilzeitfalle

oder: Am Rande des Burnouts

Wenn ich ein Sprichwort wäre, dann dieses hier: Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Das gilt zumindest für mein Arbeitsleben. Seitdem ich Kinder habe, arbeite ich in Teilzeit, und ich habe mir tatsächlich etwas dabei gedacht. Nämlich ein paar kluge Sachen zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Work-Life-Balance. Es war eine bewusste Entscheidung und es ist nicht etwa so, dass ich im Moment der Erkenntnis meine 100-Prozent-Stelle heruntergefahren hätte. Ich habe mich von vornherein auf eine Teilzeitstelle beworben. Damals war mir nicht klar, dass vor allem ich darunter leiden würde und meine spätere Rente.

In den letzten Jahren habe ich rund 20 Stunden pro Woche gearbeitet, mal ein bisschen mehr, mal einen Hauch weniger. Ich würde nicht sagen, dass ich deshalb nur halb so viel geleistet hätte wie meine Vollzeit-Kollegen. Das liegt nicht an ihnen, gottbewahre! Das liegt daran, dass Teilzeit selten aufgeht. Dazu ein kleines Beispiel aus meinem Berufsleben. Ich bin Redakteurin und schreibe regelmäßig größere Geschichten. Sagen wir mal, ich habe für zehn Seiten zwei Monate Zeit. Das klingt wahrscheinlich erst mal gut und vor allem machbar. Und das ist es auch. Aber eigentlich sind es bei einer halben Stelle keine zwei Monate, die ich zur Verfügung habe, sondern es ist nur einer. Zehn Seiten in einem Monat. Bei der Art von Texten, die ich für meinen Job schreibe, ist das ein stattliches Pensum.

Meine Vollzeit-Kollegen füllen übrigens nicht 20 Seiten pro Monat, schon allein deshalb nicht, weil unsere Publikation nur 100 Seiten hat. Wo sollten wir hin mit all den Geschichten?

Natürlich schreibe ich nicht für jedes Heft einen Artikel, aber die anderen auch nicht. Und natürlich gibt es neben den Geschichten, die wir für unsere Print-Ausgabe produzieren, tausend weitere Aufgaben, die zu erledigen sind. Aber die treffen mich auch. Kein Vorwurf, ich denke nur laut.

Wahrscheinlich schreiben total viele Journalisten insgesamt zehn Seiten pro Monat, vor allem bei Tageszeitungen, da kommt natürlich viel zusammen. Die wären vielleicht hellauf begeistert davon, nur zehn Seiten pro Monat füllen zu müssen. Ich habe vor Jahrzehnten ein längeres Praktikum bei einer Tageszeitung gemacht, ich weiß, wovon ich rede. Die Texte, die ich jetzt schreibe, sind allerdings sehr rechercheintensiv und komplex, sie sind auch ganz anders aufgebaut als meine Sportberichterstattung von damals, und die Hefte landen auch nicht am übernächsten Tag im Altpapier, sondern werden von den Leserinnen und Lesern archiviert, befürchte ich. Ich bekomme Leserbriefe, die Fehler aufdecken – und seien es auch nur vermeintliche.

Ich glaube, dass Teilzeittätigkeiten in vielen Bereichen nicht richtig funktionieren. Ich glaube, dass Teilzeitkräfte oft mehr arbeiten, als ihr Stellenzuschnitt vorsieht, manchmal sogar viel mehr. Ich würde sagen: Bei mir ist das der Fall. Manchmal ist es so viel, dass es mir richtiggehend Kopfzerbrechen macht. Vielleicht ist das sogar noch zu harmlos ausgedrückt. In den vergangenen Wochen und jetzt zum Beispiel denke ich fast täglich: „Oh mein Gott, oh mein Gott, wie soll ich das alles schaffen?“ Und meine damit meine Arbeit. Weil ich so ein zwanghafter Charakter bin, kann ich den Satz und vor allem die Sorge nicht abschütteln. „Oh mein Gott, oh mein Gott, wie soll ich das alles schaffen?“ Das einzige Mittel dagegen ist, dass ich in solchen Momenten noch mehr arbeite – um alles zu schaffen. Auch nachmittags, auch an meinem freien Tag. Dann finde ich zum Beispiel keine Zeit, um etwas für meinen Blog zu schreiben, was mir aber wichtig wäre. Auch vieles andere geht neben der Arbeit unter.

Es gibt Menschen, die sagen: „Ja, aber dafür hast du ja nicht so viel zu tun, wenn du keinen Artikel schreibst. Dann kannst du um eins deinen Computer herunterfahren.“ Das stimmt auch. Aber das hilft mir nicht viel. Denn die stressigen Phasen werden dadurch nicht weniger stressig. Und die Phasen, in denen ich nichts zu tun habe, tun mir auch nicht wirklich gut. Jetzt sei doch nicht so ein Jammerlappen, denkt sich vielleicht der eine oder andere Leser. Vielleicht du da hinten in der Flecktarn-Jacke?

Nur, damit mich niemand falsch versteht (auch so eine Sorge von mir): Gerade neulich habe ich auf dem Weg ins Büro gedacht, wie krass das eigentlich ist, dass ich beruflich das mache, was ich mir als Jugendliche gewünscht habe. Und ich meinte: krass gut! Ich bin Journalistin! Das habe ich mir immer toll vorgestellt und jetzt gleiche ich mein Bild von damals seit Jahren mit der Realität ab.

Wenn es nach mir ginge, dann hätte ich am liebsten immer eher gleichförmig zu tun und nicht diese extremen Ausschläge nach oben und unten. Mit denen kann ich nämlich nicht so viel anfangen, ich bin nicht dafür gemacht. Ich weiß übrigens auch nicht, was bei mir mehr Stress verursacht: Die Zeit, in der ich nah am Burnout vorbeischramme, oder die, in der mich ein niederdrückendes Boreout-Gefühl erfasst, nachdem ich all meine Bleistifte angespitzt habe, die ich für meine Arbeit ohnehin nicht brauche.

Manchmal sage ich zu meinen Töchtern: Augen auf bei der Berufswahl. Und damit meine ich, dass sie sich etwas suchen sollen, das ihnen Spaß macht und nicht zu viel Energie raubt. Gibt es das überhaupt? Wahrscheinlich nicht in Teilzeit.

Manchmal frage ich mich: Arbeite ich gerade, weil mich das alles total erfüllt, oder geht es mir in erster Linie darum, Geld zu verdienen, das ich dann für Yogastunden ausgebe, die ich vielleicht gar nicht bräuchte, wenn mich mein Job nicht so stressen würde?

Ich glaube, das alles hat auch mit mir zu tun, mit meinem Anspruch an mich selbst. Ich bin ehrgeizig und perfektionistisch. Ich denke, dass ich mich immer wieder beweisen muss. Ich weiß nicht, wieso das so ist. Ich arbeite seit fast zwölf Jahren in dem Job, und ich glaube, ich habe mir die eine oder andere Lorbeere verdient. Kann man sich darauf ausruhen oder verschwinden sie mit der Zeit wieder wie die Wintervorräte eines Eichhörnchens? Wenn ich so etwas für meine Arbeit schreiben müsste, würde ich den Fakt jetzt dreimal überprüfen: Wie ist das genau mit den Eichhörnchen und ihren Vorräten? Schlafen sie im Winter eine Zeit lang oder ruhen sie nur? Was bedeutet das für ihren Gesamtumsatz an Kalorien? Wenn sie sich für den Winter vorbereiten, denken sie dann auch: „Oh mein Gott, wie soll ich das alles schaffen?“

Ich will mich nicht beschweren, ich denke nur laut. Ich habe eine ganz bewusste Entscheidung getroffen. Es ging darum, einerseits maximal viel Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, und andererseits meine Fähigkeiten nicht brachliegen zu lassen. Ich glaube, ich hätte viel Spaß an der Arbeit – wenn ich nicht so unter Zeit- und Leistungsdruck stehen würde.

Wäre ich eine Farbe, dann übrigens Grün. Als Dessert irgendetwas mit Sahne und Streuseln. Und wäre ich arbeitslos, würde mich das auch nicht glücklich machen.

5 Kommentare zu „Immer wieder: Teilzeitfalle“

  1. Obwohl ich einen völlig anderen Job hatte, kann ich jedes Wort unterschreiben. Ich hab in 20 Stunden nicht halb so viel wie meine Kollegen gearbeitet, sondern mindestens 80 % des Pensums, aber natürlich für nur halb so viel Geld. Und natürlich die ganze Situation, dass ich gefühlt nie einem Teil meines Lebens gerecht werden konnte. In der Arbeit hätte ich einfach mehr Zeit gebraucht und als Mama war es auch oft doof, weil ich meinem Kind nach überstandener Grippe gerne noch zwei, drei Erholungstage gegönnt hätte, statt es gleich wieder zur Schule zu schicken.

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    1. Mir geht es ganz genauso: Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich das Gefühl habe, keinem Bereich meines Lebens wirklich gerecht zu werden! Und dabei wollte ich doch genau das! Irgendwie ist das verrückt.

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  2. Danke für diese Zeilen, die einen guten Einblick in die sog. Teilzeitfalle geben. Profitieren tut davon nur der Arbeitgeber: sich über 80 % Arbeitsleistung einer Vollzeitkraft freuen und dabei nur 50 % der Kosten bezahlen.

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  3. Liebe Sophie! Du kannst dir deine 20 Stunden aber einteilen? Wenn gerade ein Artikel fertig werden muss, dreißig machen und dann in der nächsten Woche, in der du vielleicht nur recherchierst für den nächsten, zehn? Teilzeitstellen mit festen täglichen Zeiten sollte es nur für geordnete Bürojobs mit regelmäßigen Abläufen geben.
    Ich arbeite auch Teilzeit, habe dazu aber meine Vollzeit vor ein paar Jahren heruntergefahren. Weil ich damals einen Teil der anderen Zuständigkeiten abgegeben habe und für meine Texte vier Stunden am Tag reichten. Es war eine Luxusentscheidung, neben der Arbeit mehr Zeit für Familie aber auch eigene Interessen zu haben. Mittlerweile hat sich der Bedarf an (Online-)Texten verdreifacht, und man glaubt, ich würde es trotzdem stemmen. Wie Zeitgeiststories sagt: 50 Prozent zahlen für 80 Prozent Leistung. Ich muss immer wieder klarstellen, was funktioniert und was nicht, und mich nicht verrückt machen lassen, denn was den Anspruch an meine Arbeit angeht, bin ich wie du Perfektionistin und nicht bereit, Abstriche zu machen. Kopf hoch! Wenn ich am Verzweifeln bin, rufe ich mir auch immer wieder ins Gedächtnis: Ich mache das, was ich immer wollte: schreiben.
    Liebe Grüße und hab ein entspanntes Wochenende! Anke

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    1. Liebe Anke, seit Dezember letzten Jahres arbeite ich „sogar“ 24 Stunden pro Woche. Und ja: ich könnte mir das so einteilen, wie du beschrieben hast. Das Problem daran ist, dass mein restliches Leben eher auf die normale Stundenanzahl ausgelegt ist und nicht auf Wochen oder Monate mit Überstunden. Die Nachmittage und freien Freitage brauche ich eigentlich für andere To-dos, sodass dann wirklich alles nur noch auf Kante genäht ist.
      Übrigens fällt es mir grundsätzlich schwer, auch mal „nein“ zu sagen. Und manchmal sage ich „nein“ und werde trotzdem nicht gehört. 😦
      Was du mit Luxusentscheidung meinst, verstehe ich. Klar, man muss es sich erst mal leisten können, dass nicht beide Elternteile 40-Stunden-Wochen herunterreißen, von Alleinerziehenden mit nur einem Gehalt mal ganz zu schweigen! Aber wenn man diese Entscheidung trifft, nimmt man ja auch Einbußen beim Gehalt hin. Es fühlt sich doof an, wenn man das Gefühl hat, dass man unter dem Strich schlechter gestellt ist als andere. Aber das ist eigentlich auch nicht mein Hauptproblem. Mir macht vor allem der Druck zu schaffen. 😦
      Für euch auch ein entspanntes Wochenende und herzliche Grüße aus Berlin! Sophie

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