oder: Der Hahn im Einkaufskorb
Da steht er mal wieder: mit ernstem Blick, die Stirn in Falten gelegt, ganz verloren in einer für ihn fremden Welt. Zwischen langen Regalreihen mit Reithelmen auf der rechten und Reithandschuhen und Chaps auf der linken Seite. Dahinter wieder Regalreihen, diesmal mit Reitstiefeln, Kleiderstangen mit Reithosen, mit Reitoberteilen, Aufsteller mit Reitgerten – egal, Hauptsache Reit-! Er steht da und denkt an sein Portemonnaie, das sich in seiner Hosentasche versteckt hält, vielleicht auch für einen kurzen Moment an die Söhne, die er nicht hat und auch nicht haben wird. An Fußballtrikots und Lederbälle, Stollenschuhe und Schienbeinschoner. Wobei: vielleicht auch nicht. Mein Mann ist wahnsinnig glücklich mit seinen drei Töchtern, er ist der Hahn im Korb. Er scheint nichts zu vermissen. Es sind wahrscheinlich wirklich nur die mit dem Reitsport zusammenhängenden Preise, die ihm den Angstschweiß auf die Stirn treiben.
Mein Mann ist ein Sparfuchs. Manchmal liegt mir auch das Wort „geizig“ auf der Zunge, aber das wäre zu viel gesagt. Vielleicht lieber so: mein Mann ist jemand, der das Geld zusammenhält. Und unausgesprochen schwingt bei ihm mit, dass ihm eigentlich gar nichts anderes übrig bleibt, da ich es ja nicht tue: das Geld zusammenhalten. So schaut er mich jedenfalls immer an. Eine Augenbraue hochzogen wiegt er den Kopf leicht hin- und her, seine Hand liegt wie zufällig auf der EC-Karte zum gemeinsamen Konto.
Wir befinden uns knapp vor den Toren Berlins in einem Reitsportgeschäft, um ein bisschen Reitbedarf einzukaufen. Für meine drei Töchter und mich ist es jedes Mal ein Highlight, für meinen Mann ein unvermeidliches Übel. Unsere Kleinste soll einen Reithelm bekommen. „Sie braucht einen“, sagte ich. „Sie kann sich den ihrer Schwester leihen“, sagte mein Mann. Aber jetzt sind wir hier, ich habe mich durchgesetzt. Deshalb steht auch mir der Schweiß auf der Stirn, während ich zu den Preisen hinüberschiele. Ich versuche, die Verkäuferin von den sehr teuren Helmen wegzulocken. Es gibt tatsächlich welche, die über 300 Euro kosten. „Noch reitet sie ja gar nicht regelmäßig“, sage ich entschuldigend und fühle mich, als würde ich an der Sicherheit meiner Tochter sparen. Pferdemädchen mit Rabenmutter.
Unsere kleinste Tochter probiert einen Reithelm nach dem anderen auf: Schwarz – passt nicht. Grau-meliert – passt auch nicht. Mit Samt – zu klein. Mit rosa Pferden – sitzt auf ihrem Kopf wie ein Karnevalshütchen. Bei all den einigermaßen günstigen Helmen scheint ihre kindliche Bollerstirn im Weg zu sein. Die Verkäuferin sieht erleichtert aus und schiebt uns zu den teuren Helmen zurück. Ich traue mich nicht, meinen Mann anzuschauen.
Weiter hinten gibt es eine Abteilung, zu der eine Schwingtür führt, wie sie bestimmt früher in Saloons üblich war. „Western“ steht auf dem Schild, das darüber hängt. Vielleicht würde er sich dort wohler fühlen, vielleicht könnte er einen Cowboyhut aufprobieren und sich für einen Moment nach Kanada denken oder sogar in eine andere Zeit. Vielleicht hat er früher mit seinen Freunden Cowboy und Indianer gespielt. Vielleicht wäre es nett, sich daran zu erinnern. Aber er besucht diese Abteilung nicht, sie ist zu weit von der Eingangstür entfernt, es ist, als ob er den Fluchtweg jederzeit im Blick behalten müsste. Wenn er rennt, dann nicht um sein Leben, sondern um unser Geld zusammenzuhalten.
Meine große Tochter braucht Reithandschuhe, sie hat sich ein Paar für 20 Euro gegriffen. Vielleicht kriegen wir sie günstiger beim Sportartikel-Discounter, denke ich. Meine Mittlere sieht sich nach Chaps um, das darf sie, es ist ein verspätetes Geburtstagsgeschenk. Meine Kleine ist bei einem Reithelm für schlappe 160 Euro hängengeblieben. Es scheint der einzige in diesem riesigen Geschäft zu sein, der ihr passt. Mein Mann sagt nichts, aber auch nicht „Nein.“
Kurz darauf will sich meine Kleinste noch ein Halfter aussuchen, als „Belohnung“ für ihr gutes Zeugnis, bei uns „Zeugniswunsch“ genannt. Ich gebe zu bedenken, dass der Helm ja schon einigermaßen teuer war, vielleicht reiche das doch als Zeugniswunsch. „Du hast ja auch kein eigenes Pferd, genau genommen brauchst du also auch kein Halfter“, versuche ich zu argumentieren und denke an meinen Mann, der sich auf der anderen Seite des Ladens aufhält, und an sein angsterfülltes Portemonnaie. Eine andere Kundin dreht sich zu mir um und lächelt. Vielleicht hat sie auch schon solche Gespräche geführt. Meine Kleinste bricht in Tränen aus. Ungelogen.
Kurz darauf stehen wir an der Kasse: mit Chaps, ohne Reithandschuhe, mit Helm – und Halfter. Mein Mann schiebt Bargeld über den Tresen. Es sieht so aus, als hätte er lange für diesen Betrag gespart, Zeitungen ausgetragen oder so.
Es ist später geworden als gedacht. Deshalb machen wir auf dem Rückweg bei einem Fast-Food-Restaurant Halt. Für meine Töchter bestellt mein Mann Kinder-Menüs, ich möchte einen Wrap. „Nimm‘ doch ein Getränk und Pommes dazu, dann ist es günstiger“, befiehlt mein Mann. „Na gut“, gebe ich klein bei, „wenn es günstiger ist.“ Zuletzt bestellt mein Mann: EINEN (!) Hamburger. Ungelogen. „Einer muss ja sparen“, sagt er.
Später teile ich meine Pommes und meinen Softdrink mit ihm. Sparfüchse gehören zu meinen Lieblingstieren – gleich nach Pferden.