oder: Die Angst vor den Hasen
Habe ich schon mal erwähnt, dass mir Veränderungen immer ein bisschen weiche Knie machen? Nein? Also: sie tun es. Es gibt Dinge, auf die ich mich total freue und die ich mir total wünsche, aber wenn es dadurch zu einer Veränderung kommt, fremdle ich im ersten Moment. Der kann sich auch schon mal einige Wochen hinziehen, manchmal Monate. Das geht mir sogar bei total belanglosen Dingen so. Neulich haben wir zum Beispiel Hochbetten für die beiden Kleineren gekauft. Nachdem mein Mann das erste Hochbett aufgebaut hatte, wurde mir für einen Moment heiß und kalt. Ich übertreibe nicht. Das Ungetüm stand so groß und wuchtig im Zimmer, wo sich vorher die niedlichen, kleinen Kinderbetten befanden, dass mich die Sorge wie ein Blitz durchfuhr, mich nie (NIE!) an diesen Anblick gewöhnen zu können.
In solchen Momenten klopft mir das Herz bis zum Hals und eine innere Stimme fragt mich: „Ernst jetzt? Hast du das wirklich so gewollt? Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr. Das ist dir schon klar, oder?“ Bekümmert habe ich meinen Mann gefragt: „Kann man die Hochbetten denn wieder zurückschicken?“ Zur Antwort hat er nur müde mit dem Kopf geschüttelt.
Noch weitaus angespannter war ich Mitte Februar 2020, als wir uns eines Nachmittags mit zwei niedlichen Zwergkaninchen in die Schlange an der Kasse einer Tierhandlung einreihten. Wir waren keiner plötzlichen Laune oder Eingebung gefolgt. Es war nicht „einfach so passiert“. Nein, wir hatten diesen Tag gut vorbereitet, die Anschaffung von Haustieren von langer Hand und akribisch geplant, nichts dem Zufall überlassen. Dennoch fühlte sich unser Unternehmen jetzt, wo wir uns in Trippelschritten der Kasse näherten, irre und waghalsig an.
Es war die dritte Tierhandlung, die wir an diesem Tag angesteuert hatten. Zuvor hatten wir einfach noch nicht „unsere Kaninchen“ getroffen. Wir mussten bis nach Berlin-Spandau fahren, etwa 15 Kilometer Autofahrt von unserem Zuhause entfernt. Hermine haben wir sofort als unser Kaninchen erkannt, sie lief neugierig und zugewandt auf uns zu – es war Liebe auf den ersten Blick! Die Männchen saßen in einem anderen Gehege und unsere Wahl fiel schnell auf Jimmy: klein, puschelig, weiß mit schwarzen Flecken. Wir konnten nicht anders. Wir waren allesamt füreinander bestimmt (ausgenommen mein Mann vielleicht).
Obwohl wir uns unserer Sache so sicher waren, verschwand mein mulmiges Gefühl auch nicht, als wir mit den Kaninchen in ihren Transportboxen im Auto saßen. Vielleicht klingt es albern, es sind ja nur Kaninchen, aber dennoch hatte ich Sorge, dass ich all dem nicht gewachsen sein könnte, dass ich das alles nicht schaffe: eine gute Kaninchen-Mutter sein.
Ich glaube, meinen drei Töchtern ging es ähnlich. Obwohl wir quasi am Ziel unserer Träume waren, war die Stimmung gedrückt. Da ist sie wieder, dachte ich: die Angst vor der eigenen Courage (wobei ich einen Kaninchen-Kauf eigentlich als nicht besonders couragiert empfinde, ich habe schon ganz andere Dinge durchgestanden, mich zum Beispiel an die Hochbetten gewöhnt).
Als die Kaninchen endlich in ihrem neuen Zuhause saßen, traute sich Jimmy erst einmal gar nicht aus seiner Transportbox heraus, so eingeschüchtert war er. Im Käfig versteckte er sich sofort unter einem Häuschen. Dort lag er eine sehr lange Zeit wie versteinert vor Angst, er zitterte noch nicht einmal. Fürchtete sich Jimmy etwa mehr vor mir als ich mich vor ihm? Konnte das sein? Vielleicht war es dieser Moment, der mir ein bisschen von der Angst nahm, als frischgebackene Kaninchen-Mutter zu versagen.
Schon kurze Zeit später konnte ich meine Sorgen nicht mehr nachvollziehen. Wir alle haben Jimmy und Hermine von heute auf morgen ins Herz geschlossen (naja, mein Mann vielleicht nicht ganz so sehr… sobald es hell wird, rüttelt Jimmy mit seinen kleinen Zähnchen an den Gitterstäben, bis er einen Rote-Beete-Knabberring bekommt – auch am Wochenende…). Bis auf das Rütteln klappt alles wunderbar. Die Mädchen kümmern sich liebevoll um die Kaninchen, streicheln und kuscheln, putzen den Käfig, säubern die Toilettenecke, schneiden frisches Gemüse auf, füllen Heu nach und so weiter und so fort – kurzum: sie lernen Verantwortung. Jimmy und Hermine haben ein riesiges Auslaufgehege rund um ihren zweistöckigen Käfig, in das sie jederzeit hoppeln können – auch so ein Ungetüm im Kinderzimmer, das mir zunächst Schnappatmung gemacht hat.
Wenn ich am Kinderzimmer vorbeilaufe, werfe ich jedes Mal einen Blick hinein und sehe Jimmy und Hermine, wie sie sich aneinanderschmiegen oder sich gegenseitig putzen. Ziemlich beste Freunde, sagen wir immer. Das ist so niedlich, dass mir ganz warm ums Herz wird. Und wenn ich Hermine kraule, fängt sie an zu „kauen“ so wie Katzen schnurren würden, ein Zeichen, dass sie sich wohlfühlt. Oder sie leckt mit ihrer kleinen rauen Zunge an meinen Fingern. Ist es komisch, wenn ich sage, dass ich die Kaninchen liebhabe?
Neulich habe ich einen Artikel gelesen, in dem eine Frau die frischgebackenen Mütter auf der Wochenbettstation beschrieben hat: wie sie ihre neugeborenen Babys in Gitterbettchen auf Rollen durch die Flure fahren, wenn sie beispielsweise in den Frühstücksraum oder zur Stillberatung gehen. Dreimal in meinem Leben habe ich jeweils ein Neugeborenes im Bettchen über einen Klinikflur geschoben, verzaubert, überwältigt – und besorgt. „Bin ich all dem gewachsen?“, habe ich mich jedes Mal aufs Neue gefragt. „Kann ich das: eine gute Mutter sein?“ Bei Gelegenheit kann ich ja mal meine Mädchen fragen, wie ich mich so mache.