Zum ersten Mal: Fuchsi ist zurück

oder: Wunder geschehen

Vor rund zwei Wochen hatte meine jüngste Tochter Baby Boss eine Art Ausbruch oder Anfall. Sie sagte, ihr Leben wäre immer so anstrengend und sie hätte nie Zeit, sich zu entspannen. Es war an einem Sonntag, wir waren in Bamberg und hatten dort gerade ein wundervolles Wochenende verbracht. Weite Teile der Familie waren zusammengekommen, unter anderem ihr Cousin, zu dem sie ein sehr inniges Verhältnis hat. Die Stimmung war ausgezeichnet, das Wetter fantastisch, wir hatten gut gegessen, unter anderem Torte mit einer Dekoration aus Macarons, die mein Bruder versehentlich als „kleine Macrons“ bezeichnet hatte. Am Nachmittag wollten wir zurück nach Berlin fahren, davor stand noch eine Stadtrundfahrt auf dem Programm. Der Ausbruch kam deshalb etwas unerwartet.

Schuld daran war wahrscheinlich in erster Linie der Umstand, dass ich es anzusprechen gewagt hatte, dass Baby Boss auf dem Rückweg im Zug für einen Test im Berliner Grundschulfach Naturwissenschaften lernen sollte, kurz Nawi genannt. Der Test war für Montag angesetzt.

Sie hätte regelrecht Angst vor ihrem Lehrer, trug Baby Boss vor, er wäre immer so streng. Außerdem könnte ich es ja wohl nicht verstehen, dass sowieso alles sehr schwer für sie wäre, seitdem sie Fuchsi nicht mehr hätte. Ihr würde seither ein Teil ihres Herzens fehlen. Sie irrte sich mit ihrem Vorwurf, ich könnte sie nicht verstehen. Ich verstand sie nämlich sehr gut. Auch mir fehlte ein Teil meines Herzens, seitdem Fuchsi nicht mehr bei uns war, wenn auch verglichen mit ihr ein weitaus kleinerer. Und der hatte auch nicht so sehr mit Fuchsi selbst zu tun, sondern eher mit ihr. Mich machte es traurig, dass sie traurig war. Auch ich wünschte mir Fuchsi zurück, denn mit ihm an unserer Seite ließe sich das Leben inklusive Nawi-Test sehr viel besser bewältigen, so viel stand fest.

Fuchsi war das einzige von Baby Boss‘ vier Kuscheltieren, das wir nach dem Diebstahl in Rom im Herbst des vergangenen Jahres nicht wieder hatten auftreiben können. Nach einer strapaziösen, aber erfolglosen Suche im Internet hatte ich mich an den Hersteller gewandt und dort mit verschiedenen Personen bis hin zum Pressesprecher Kontakt gehabt – alles vergeblich. Fuchsi war in nur geringer Anzahl auf den Markt gebracht worden und das war auch schon vor rund zehn Jahren gewesen. Es gab ihn nicht mehr zu kaufen – weder neu noch gebraucht. Nachnähen lassen wäre eine Option gewesen, aber eine kostspielige. Deshalb schoben mein Mann und ich diese Option lustlos vor uns her. Vor allem mein Mann schob, ich hätte für Fuchsi mein letztes Hemd gegeben.

Der oben beschriebene Ausbruch war mit Tränchen verbunden. Die Geschichte über den Verlust eines Stückchens ihres Herzens setzte mir zu. Ich knickte ein und sagte zu meinem Mann: „So geht es nicht weiter. Heute Abend kontaktiere ich die Frau, die Fuchsi nachnähen könnte.“ „Ja, mach das“, sagte mein Mann, nicht mehr in der Lage, Widerstand zu leisten.

Am Abend schrieb ich die Mail, ob das Angebot noch gelte, wir bräuchten jetzt doch dringend Fuchsi. Mir war klar geworden: Ohne ihn ginge es einfach nicht mehr, wegen Nawi, aber auch insgesamt.  

Am Tag darauf rief mich mein Mann vormittags bei der Arbeit an, ich war ausnahmsweise im Büro. „Ich habe Fuchsi gefunden“, rief er in den Hörer. „Ich habe dir gerade ein Bild geschickt!“ Fuchsi gefunden? Das grenzte an ein Wunder. Ich schaute auf meinen Handybildschirm und erkannte ihn sofort. Eine Frau, die in Österreich wohnt, bot in auf einer Second-Hand-Plattform zum Verkauf an. Für drei Euro, nur an Selbstabholer.

Mein Mann schrieb ihr unsere Lebensgeschichte mit Schwerpunkt Diebstahl in Rom und bettelte um eine Versandmöglichkeit. „Na klar, wieso nicht?“, war die Antwort, die wir uns erhofften, und die Antwort, die wir bekamen. Fuchsi wurde dadurch teurer, in etwa so viel, wie er damals neu gekostet hatte. Wir hätten noch viel mehr gezahlt.

Mein Mann überwies, die Frau in Österreich quittierte den Zahlungseingang. Der Fuchs habe schon ein Auslandsjahr mit ihrer Schwester in San Antonio verbracht, schrieb sie, und dass ihre Nichten und ihr Neffe gern damit gespielt hätten. Und ob das jetzt „weird“ wäre, dass sie uns das mitteilte. Wir fanden es überhaupt nicht „weird“. Ich war sogar gerührt. Fuchsi in San Antonio? Da hatte er mir etwas voraus.

Wir erzählten Baby Boss nichts von unseren Machenschaften. Zu groß war die Sorge, dass Fuchsi vielleicht nicht ankommen würde. Unsere letzte Chance, ihn wiederzubekommen, könnte von der österreichischen oder deutschen Post zunichte gemacht werden. Wir harrten aus, verfolgten Fuchsis Weg mithilfe einer Trackingnummer.

Gestern sollte er ankommen, eine Woche nach Baby Boss‘ elftem Geburtstag. Ich saß zuhause, traute mich nicht vor die Tür. Am Mittag gab ich zum wiederholten Male die Trackingnummer beim Paketdienst ein. „Zugestellt“ stand dort! Aber wie konnte das sein? Ich war doch den ganzen Tag in der Wohnung geblieben. Ich rannte zur Tür und riss sie auf. Ich fand ein kleines Päckchen, sorgsam in „DIE ZEIT“ eingehüllt, auf unserem Fußabtreter. Es kam aus Österreich. Und darin war Fuchsi, in hellrosa Papier gewickelt.

Und Baby Boss? Die bekam am Abend ein verspätetes Geburtstagsgeschenk. Vielleicht das beste überhaupt. Vielleicht das beste jemals.

6 Kommentare zu „Zum ersten Mal: Fuchsi ist zurück“

    1. Liebe Antonia, herzlichen Dank für deine lieben Worte. Ja, Glück! Das begegnet einem doch immer wieder. Und dann muss man es einfach für einen Moment in die Arme schließen, selbst wenn es danach weiterreisen möchte – nach Bamberg vielleicht oder San Antonio.
      Fuchsi hat gestern noch in unserer neuen Waschmaschine ein exklusives Bad genommen und schläft jetzt wieder bei Baby Boss im Bett. Es fühlt sich an, als wäre er nie weg gewesen.
      Herzliche Grüße, Sophie

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  1. Prima! Wie schön. Ich hoffe, Nawi hat den Schrecken verloren und mit Fuchsi an ihrer Seite muss Baby Boss nun keine Ängste mehr haben, nicht vor der Schule und überhaupt. 😍
    Hatte dein Mann da einen Alert gesetzt, oder wie sagt man, wenn man benachrichtigt wird, sobald zu einem gesuchten Thema (oder Fuchs) etwas im Netz auftaucht? Ein Glück, dass ihr ihn nicht in Italien gefunden habt. Da wäre die Reise zu euch per Post noch ein bisschen riskanter gewesen. Ich bin immer froh, wenn Weihnachtskarten an meine Lieben in Deutschland vor dem Osterfest des Folgejahres eintrudeln. 🙈
    Habt ein entspanntes, glückliches Wochenende! Anke

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    1. Mein Mann hat es an diesem Tag noch einmal mit der Rückwärtssuche versucht, bei der man ein Bild hochlädt und eine bekannte Suchmaschine gefühlt das ganze Internet damit abgleicht. Also, ich hätte nicht gedacht, dass wir diesen Fuchs im Original je wiederfinden!!! Was für ein Glück!!! Du hättest Baby Boss’ Gesicht sehen sollen, als sie ihr nachträgliches Geburtstagsgeschenk ausgepackt hat.
      Paket-Ärger hatten wir zuletzt mit England und Belgien. Turnanzüge, die leider nie ankamen!
      Für euch ebenfalls ein wundervolles Wochenende! Sehr herzliche Grüße aus Deutschland nach Italien! Sophie

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  2. Ach wie schön, dass euer Schrecken vom letzten Jahr nun endlich und endgültig überwunden ist! Und toll, dass es andere Menschen gibt, die euch geholfen haben. Jetzt kann Baby Boss durchstarten und hat keine Ausrede mehr 😉

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    1. Ja, und ich werde dieser Frau ewig dankbar sein!!! Wie gut, dass sie den Fuchs nicht einfach gespendet, sondern ins Netz gestellt hat. Damit hatten wir ja nach dem Diebstahl ohnehin sehr viel Glück. Einige gestohlene Dinge konnten wir so wieder auftreiben.

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