Immer wieder: Streit um den Stall

oder: Pelziges Gold

Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich einen sehnlichen Wunsch: Ich wollte gern ein Haustier haben. Wahrscheinlich habe ich an etwas Kleines, Handliches gedacht, ein Meerschweinchen etwa oder ein Kaninchen, vielleicht aber auch an eine Katze oder einen Hund. Ganz genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern, ich weiß nur, dass ich es mir schön vorgestellt habe, so einen kleinen pelzigen Begleiter an meiner Seite zu wissen, um den ich mich kümmern und den ich unendlich liebhaben kann. Es war vielleicht zu der Zeit, in der ich auch davon träumte, einen Reiterhof zu eröffnen, und die Namen der Pferde, die ich später besitzen würde, schon mal vorsorglich in ein liniertes Heft schrieb.

Es hätte also eigentlich alles total schön sein können: ein kleines Tierchen und ich als ziemlich beste Freunde. Wäre da nicht mein Bruder gewesen und seine Allergie gegen jegliche Art von Haustieren, die jegliche Hoffnung auf einen Gefährten mit Fell im Keim erstickte. (Nacktkatzen, Schildkröten und Fische kamen für mich damals nicht in Frage.) Wenn ich von Ersticken rede, dann meine ich das übrigens so. Gibt es ein besseres Argument gegen Haustierhaltung als eine Allergie mit verquollenen Augen, triefender Nase und Atemnot? Ist es nicht vielleicht sogar das Totschlagargument schlechthin? Ich musste meinen Eltern recht geben und war untröstlich.

Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Liebe zu Tieren bei einer Kindergarten- und Schulfreundin auszuleben, die einen regelrechten Kleintierzoo zuhause hatte: mit Katzen, Meerschweinchen UND Kaninchen (letztere wohnten in einem Stall im Garten). Sowohl Katzen als auch Meerschweinchen bekamen regelmäßig Junge, und ich kann mich noch daran erinnern, dass wir die Meerschweinchenbabys einmal in die Waggons eines Spielzeugzugs gesetzt und sie darin herumgefahren haben. (Wir waren wirklich noch kleine Mädchen und den Meerschweinchen hat die Fahrt bestimmt gut gefallen! Verletzt wurde niemand, gequiekt wurde kaum, ich schwöre!)

Ich habe oft gehört, wie gut es für Kinder ist, ein Haustier zu haben. Sie würden lernen, Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu übernehmen, hätten einen Spielkameraden und ganz viel Freude. Wie sich die Haustierhaltung auf Eltern auswirkt, wird in den Artikeln nicht erwähnt. Vielleicht ist es einfach nicht erforscht – oder eine Veröffentlichung der Studienergebnisse hätte verheerende Folgen.

In der Corona-Zeit gab es ja einen regelrechten Run auf Haustiere und ich habe den Begriff „pelziges Gold“ gelesen, weil alle plötzlich in Vierbeiner investiert haben. Wir haben unsere Kaninchen kurz VOR Corona angeschafft, das war im Februar 2020.

Die positiven Auswirkungen, die Jimmy und Hermine auf unsere drei Töchter haben, sind unbestritten. Sie gehen sehr liebevoll mit den beiden um und auch nach mehr als anderthalb Jahren als Kaninchenbesitzer ist die Magie des ersten Augenblicks nicht verflogen. Im Gegenteil: Jimmy und Hermine sind natürlich mit der Zeit viel zutraulicher geworden, der schüchterne Jimmy lässt sich von meiner mittleren Tochter sogar wie ein Baby durch die Wohnung tragen, beide Kaninchen lassen sich streicheln und kraulen und geben dabei Laute des Wohlbefindens von sich. Sie stürmen heran, wenn sie denken, es könnte ein Stück getrocknete Banane oder Apfel geben, und stellen sich auf ihre Hinterpfötchen. Manchmal leckt Hermine mit ihrer kleinen rauen Zunge über unsere Fingerspitzen. Und meine Töchter verleihen den Kaninchen Stimmen, also: Sie können das übersetzen, was die Kaninchen denken, nehme ich an. So etwas kann schon mal passieren, wenn man den ganzen Tag Harry Potter hört und „Die Schule der magischen Tiere“ gelesen hat.

ABER! Und das muss an dieser Stelle leider gesagt werden (Es tut mir leid, Mädels, aber es ist so!): Die Sache mit der Verantwortung haben die Kinder noch nicht ganz verinnerlicht. Da wird gezetert und gestritten und ein guter Grund nach dem anderen vorgetragen, warum man JETZT GERADE NICHT an der Reihe sei, die Gurken und Möhrchen aufzuschneiden. Wir haben verschiedene Modelle der Arbeitsteilung ausprobiert, zum Beispiel das hier: Eine ist morgens für das Futter zuständig, eine mittags, eine abends – dennoch gibt es immer wieder Grund zur Klage (vor allem abends). Und vor allem die beiden Kleineren würden ihre Aufgabe gern auf die jeweils andere abwälzen.

Das wöchentliche Putzen des Stalls klappt besser als gedacht – aber auch nicht wirklich gut. Die Hauptlast trägt meine verantwortungsbewusste älteste Tochter, die gerade 14 Jahre alt geworden ist. Danach nimmt das Verantwortungsbewusstsein dem Alter entsprechend ab. Meine kleinste Tochter ertappe ich immer wieder dabei, wie sie gedankenverloren im Kinderzimmer sitzt, während die beiden anderen mit Staubsauger und Handfeger hantieren, im Bad die Plastikwannen auswaschen oder Einstreu nachfüllen. Manchmal streiten die Mädchen auch darüber lautstark und werfen sich gegenseitig Untätigkeit vor. Ich weiß nicht, was meinen Mann mehr stört: der Streit der Mädchen oder die Geräusche, die entstehen, wenn Hermine in der Nacht den Deckel der Heuraufe durchs Gehege schiebt.

Dennoch: die positiven Auswirkungen auf die Mädchen überwiegen bei weitem! Und ich würde Jimmy und Hermine jederzeit wieder bei uns aufnehmen (allein schon, um endlich meinen Kindheitstraum leben zu können).

Auf meinen Mann haben die Kaninchen übrigens einen nicht ganz so positiven Effekt – und andersherum: er auch nicht unbedingt auf die Kaninchen. Stampft er ins Kinderzimmer, hoppelt Jimmy manchmal sogar vom äußeren Auslauf in den Stall und versteinert dort (auch Jimmy hat „Die Schule der magischen Tiere“ oft gehört und kennt sich mit dem Versteinern aus). Ich kann mich gut in ihn hineinversetzen. Mein Mann ist weder besonders groß noch besonders schwer, dennoch hat er einen Schritt wie ein Elefant. Und ich meine jetzt keinen Glückselefanten, der in wunderschönen Erinnerungen schwelgt, sondern einen kampflustigen Elefantenbullen, der schlechte Laune hat.

In Ausnahmefällen lassen sich die Kaninchen auch von meinem Mann streicheln, vielleicht haben sie einen untrüglichen Instinkt dafür, wer in unserer Familie der Hauptverdiener ist und das ganze Heu, die Einstreu, Karotten, Gurken und Rote-Beete-Knabberkugeln bezahlt. Vielleicht können sie die streichelnde Hand aber auch nicht in Sekundenschnelle zuordnen.

Oft ertappe ich mich dabei, wie ich den kleinen, puscheligen Fellkugeln irgendetwas Nettes in die langen Öhrchen säusele wie „Du bist meine kleine Freundin, nicht wahr?“ oder „Ihr seid ja wirklich die Allerbravsten.“ Meine älteste Tochter sagt dann immer: „Du hast die Kaninchen auch total lieb, oder?“ Ja, das habe ich.

PS Ach so, bevor ich es vergesse: Die Geschichte mit meinem kindlichen Haustierwunsch ist übrigens auch irgendwie gut ausgegangen und hat kein wie auch immer geartetes Trauma hinterlassen. Als ich etwa 15 Jahre alt war, haben wir uns einen allergikerfreundlichen Hund angeschafft. Ja, so etwas gibt es. Ich finde, das hätte der behandelnde Hals-Nasen-Ohren-Arzt ruhig schon früher erwähnen können, denn mit 15 war mein Haustierinteresse so gut wie verflogen. Aber vielleicht steckte der Arzt mit meinen Eltern bis zu diesem Zeitpunkt unter einer allergikerfreundlichen Decke. Ich werde bei Gelegenheit mal nachfragen.

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