GÄSTEBUCH: Zum ersten Mal: Trauern

oder: Mehr als nur Schmerz

von Eugie

Der richtige Einstieg. Wie ein Text anfängt. Das muss eine Geschichtenerzählerin können. Die LeserInnen in den Bann ziehen, ihren Ton treffen, Bilder schaffen. Es gibt Themen, da fühlt sich kein Einstieg richtig an.

Hast du die Überschrift gelesen? Fühlst du dich unbehaglich? Denn schon jetzt ist dir sicher klar: Es könnte um den Tod gehen. Um die Vergänglichkeit eines Lebens. Um die Gewissheit: Wir alle werden sterben. Nichts auf der Welt ist sicherer, als dass am Anfang die Geburt und am Ende der Tod stehen. So bitter das ist. Und noch etwas ist gewiss, weil es die logische Schlussfolgerung daraus ist: Wir alle verlieren jemanden, früher oder später. Und wir werden trauern. Denn jemanden zu verlieren, den wir lieben, tut weh. Sehr weh. Und es hört nie auf, wehzutun.

Das alles ist nichts Neues. Und es gibt bereits sehr kluge Menschen, die darüber geschrieben haben. An dieser Stelle erlaube ich mir, einige beispielhaft zu nennen: Nora McInerny, Megan Devine, David Kessler. Darüber hinaus empfehle ich den deutschsprachigen Podcast „Ich bin hier und du bist tot“ von zwei Frauen, die ihre Partner verloren haben.

Was also ist dieses Trauern? Was ist für mich Trauern?

Bis vor etwas mehr als einem Jahr hatte ich eine Idee davon, eine Vorstellung, die viele Menschen, davon bin ich überzeugt, teilen. Diese Vorstellung ist eindimensional: Trauern bedeutet Traurigsein, Verzweiflung, Schmerz. Sie hat keine besonders breite Farbpalette, alles ist grau bis schwarz. In den schlimmsten Zeiten fühlt sich alles nur sehr düster an, ein gewaltiges Loch, in das ein Trauernder immer und immer wieder hineinfällt, bis er oder sie endlich (!) darüber weg ist.

Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich den Menschen verloren, mit dem ich mein Leben bis zum Ende verbringen wollte. Meine Liebe, nach 22 Jahren. Meine Partnerin. Meine Frau. Die eine Liebe meines Lebens, so dachte ich. Noch bis zu dem Tag, als sie starb, war ich fest davon überzeugt, dass uns nichts trennen könnte. Dass nichts stärker sein könnte als unsere Liebe.

Ihr Tod schrie mir förmlich ins Gesicht, dass ich irrte. Mit aller Härte, die vorstellbar und gleichzeitig unvorstellbar ist. Ich musste erkennen, dass es Dinge gibt, die stärker sein können als die Liebe zwischen zwei Menschen und auch stärker als alle Hoffnung. Dinge, die nicht in unserer Macht liegen. Gegen die wir so viel ankämpfen können wie wir wollen und letztlich doch nichts daran ändern können. Ich musste erfahren, dass man einen Menschen nicht gesund lieben kann.

Und mir wurde klar, was für unbeschreibliche Angst ich vor ihrem Tod, aber vor allen Dingen dem „Danach“ hatte. Wie gut ich darin war, diese Möglichkeit zu verdrängen. Es war keine Option. Nie. Vom ersten Tag ihrer Erkrankung bis zum letzten Tag ihres Lebens. Also, so lapidar wie das jetzt klingt, warf mich ihr Tod „ins kalte Wasser“. (Ich bin noch recht neu im Trauerbusiness.)

Und ich fiel. Nein, das stimmt nicht. Ich ließ mich fallen, obwohl das nicht meine Art ist, aber ich war kraftlos, ich war unendlich müde.

Ich fiel aber nicht in ein dunkles Loch. Ich gelangte nicht an einen Ort, an dem alles nur düster war, alles nur grau und schwarz. In den Wochen und Monaten danach lebte und fühlte ich so viel und intensiv – und das tue ich bis heute – wie selten zuvor in meinem Leben. Und ich war nie allein. Sehr sehr liebevolle Menschen helfen mir dabei, begleiten mich auf diesem Weg, den ich mir nicht ausgesucht habe. Menschen, die ich schon lange kenne, die gemeinsame Erinnerungen teilen, und Menschen, die neu in mein Leben getreten sind. Auch dabei war vieles dennoch überraschend. Für mich vor allem eines: Wie sehr ich geliebt werde.  

Und nun sage ich dir, was Trauern für mich ist. Es ist ein Feuerwerk. Es hat alle Farben. Und jede einzelne Farbe hat ihre Berechtigung, jede einzelne Farbe fühlt sich anders an. Alles passiert gleichzeitig.

Ein alltägliches Beispiel: Ich erlebe etwas ganz Tolles, ich habe einen schönen Tag, bin mit lieben Menschen zusammen und voll in diesem einen Moment. Ich fühle seine Schönheit, seine Einzigartigkeit. Gleichzeitig weiß ich, dass auch er vorbei geht. Wie alles. Ich spüre seine Vergänglichkeit. Und mich ergreift eine tiefe Traurigkeit, ein Bedauern, dass ich diesen Moment nicht für immer festhalten kann. Dass die Zeit nicht stillsteht. Dass die Zeit ebenfalls eine ziemlich bombensichere Angelegenheit ist. (Gerade wird mir klar, dass das nicht der letzte Text sein wird, den ich darüber schreibe.)

Trauer ist nicht eindimensional. Sie ist die Fortsetzung von Liebe. Liebe ist nicht eindimensional. Du kannst einen Menschen lieben und ihn oder sie für immer in dir haben, an einem sicheren Ort, der nur euch gehört. Gleichzeitig musst du dich der Liebe nicht verschließen. Auch jede Liebe hat ihre Farbe. Und jede Liebe ist anders.

Alles ist im Wandel, alles im Fluss, alles verändert sich, stetig. Und das ist auch nichts Neues. Manchmal komme ich aber nur schwer hinterher. Manchmal halte ich ihr Tempo. Und beides ist okay.

Ich glaube, darum geht es mir in diesem ersten Text über das Trauern. Dass dieses „Allesfühlen“ normal ist, dass nichts daran falsch ist. Dass es nicht irgendwann reicht, weil genug Zeit vergangen ist (nein, die Zeit heilt eben nicht alle Wunden), dass es nicht endet. Dass der Schmerz über den Verlust weh tut, unbeschreiblich weh tut. Dass aber auch die Schönheit und gleichzeitig die Vergänglichkeit des Lebens so greifbar sind wie nie zuvor.

Dass ich von so viel Liebe und Dankbarkeit erfüllt bin, für die Vergangenheit, für das Glück, das ich erleben durfte. Für die Gegenwart, in der ich sein und fühlen darf.

Für die Möglichkeit, darüber reden zu können, darüber schreiben zu können. Denn nichts hält mich mehr am Leben: All das mit Menschen teilen zu können.

3 Kommentare zu „GÄSTEBUCH: Zum ersten Mal: Trauern“

  1. Megan Devine schrieb zum Tod ihres Freundes: „You lose the echo of your life.“ In wenigen Worten sagt das alles, finde ich…
    Danke für diesen Beitrag, der unter die Haut geht. Und alles Gute für dich, Eugie!

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  2. Im Januar diesen Jahres bin ich am eigenen Leib mit der Möglichkeit des eigenen Todes konfrontiert worden. Man denkt hinterher anders. Aber ich lasse mich davon nicht einschüchtern. Irgendwann ist jeder dran. Ich lasse mir doch vom Tod nicht mein Leben zerstören!

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