oder: Nutze den Tag
„Ist es wegen Pippilotta?“, fragt Supergirl, als ich morgens verkünde, vormittags ins Freibad gehen zu wollen. „Weil sie immer so viel macht? Darüber hast du doch sogar auf deinem Blog geschrieben.“ „Habe ich noch nicht“, sage ich. „Aber ich habe dir erzählt, dass ich es vorhabe.“ Denn Supergirl hat recht: Es ist wegen meiner Freundin Pippilotta. Vielleicht gehe ich allein wegen ihr heute schwimmen.
Neulich habe ich darüber nachgedacht, warum mir Freundschaften so wichtig sind, und in dem Moment sind mir zwei Dinge durch den Kopf geschossen. Zum einen fiel mir dieses Experiment ein, von dem ich nicht sicher bin, ob ich es hier schon mal erwähnt habe. Ein Menschenaffe sitzt in seinem Käfig, draußen ein Hund. Der bellt vielleicht oder fletscht die Zähne, ich weiß es nicht. Jedenfalls werden die Gehirnströme des Affen gemessen und es ist erkennbar, dass er Angst hat. Als ihm ein weiterer Affe in den Käfig gesetzt wird, nimmt die Angst ab. Ich hoffe, ich gebe den Versuchsaufbau und die Details richtig wieder. Ich habe selbst nur davon erzählt bekommen. Alles ist mir absolut plausibel erschienen, deshalb habe ich es nie hinterfragt. Die Geschichte mit den Affen hat mich beeindruckt und gerührt.
Der zweite Gedanke war, dass mich meine Freundinnen sehr inspirieren. So ist es zum Beispiel mit Pippilotta, die das Motto „Carpe diem“ erfunden hat. Wenn nicht in diesem Leben, dann in einem ihrer vorherigen. Pippilotta ist jemand, der Dinge einfach macht und nicht nur darüber nachdenkt oder davon redet. Sie ist wahnsinnig patent und zupackend und nimmt das Heft in die eher kleinen Hände. Wir kennen uns seit mehr als 25 Jahren und ich habe sie in all dieser Zeit nie anders erlebt.
Vor kurzem war sie zum Beispiel mit ihrer Patentochter bei einem Pasta-Workshop, bei dem sie selbst Makkaroni hergestellt und später gegessen haben. Sie sagte dazu: „Ach, ich mache eigentlich viel zu wenig mit ihr, da war das doch eine gute Gelegenheit.“ Sie ist auch eine Person, die ihrer Familie um Viertel vor acht ankündigt, um Viertel nach acht ins Kino gehen zu wollen. Nicht, um die anderen zu überrumpeln, sondern weil sie selbst erst in diesem Moment auf den Gedanken gekommen ist.
Am vergangenen Freitag waren wir mittags gemeinsam in einem Restaurant, da hat sie mir all das erzählt. Wir haben auch über den Sommer gesprochen und davon, dass er bald vorbei sein wird, dass die Tage merklich kürzer werden und man nichts mehr aufschieben darf, was mit Sonne, Wärme und Helligkeit zu tun hat. Ich erzählte ihr von einem Blogbeitrag, den ich im vergangenen Jahr schreiben wollte: über Dinge, die ich mir für den Sommer vorgenommen, aber nicht geschafft hatte. Ein Picknick auf der Domäne Dahlem* gehörte zum Beispiel dazu. Auch dieses Jahr war ich noch nicht dort, zumindest nicht zum Picknicken. Die Zeit läuft. Auch andere Dinge stehen noch auf dem Sommer-Wunschzettel: Pizza essen auf dem „Rüdi“* und Freibad. Da waren wir dieses Jahr schon, sogar alle zusammen als Familie, was selten genug vorkommt. Aber wir waren nicht in dem Schwimmbad, das ich schon als Kind besucht habe, das „Lochow“ im Berliner Südwesten. Das Schwimmbad, das für mich zum Sommer dazugehört wie Melone, Flipflops und laue Nächte. Ich weiß: Wenn ich heute nicht gehe, dann vielleicht gar nicht mehr in diesem Jahr.
Deshalb lasse ich mir morgens von Belle den Rücken mit Sonnencreme einreiben, nehme Geld aus meinem Portemonnaie, das für den Eintritt und Pommes rot-weiß reichen soll. Auch meinen Ausweis brauche ich, der muss im „Lochow“ vorgelegt werden. Schließlich ist es in Berliner Freibädern nicht ausgeschlossen, in eine Massenschlägerei verwickelt zu werden. Der Ausweis soll es ermöglichen Hausverbote auszusprechen und sie zu kontrollieren. Ich packe zwei dünne Badehandtücher und einen Bikini zum Wechseln ein, ein Buch, das mich seicht unterhalten soll („Biss zum Morgengrauen“) und meine Schreibsachen: ein paar Ausdrucke mit Notizen zu meinem Kinderbuch „Ferien bei den Royals“ und einen Kugelschreiber. Außerdem Sonnencreme und einen Schokoriegel. Ich bin vorfreudig, mein Herz jauchzt, ich spüre das.
„Gehst du mit einer Freundin ins Freibad?“, fragt Supergirl. „Nein“, sage ich und finde es nicht schlimm. Ich hätte Pippilotta fragen können, wir waren schon zusammen im „Lochow“ und im Strandbad Wannsee, aber sie muss arbeiten.
Auf dem Weg zum Schwimmbad bin ich glücklich. Ich schließe mein Fahrrad an und überprüfe, ob ich es auch richtig gemacht habe. Der Kassierer begrüßt mich freundlich, gibt mir Rückgeld in kleinen Münzen, damit ich „etwas für das Schließfach und später fürs Föhnen“ habe. Ich fühle mich herzlich willkommen.
Der Rasen ist noch feucht von der Nacht, Morgentau, kein Regen. Das Schwimmbad ist fast menschenleer. Ich setze mich im Bikini auf eine Bank in der Nähe des Nichtschwimmerbeckens und beginne zu schreiben: über Pippilotta, den Sommer, der immer zu kurz ist für all meine Pläne. Über Experimente mit Affen und den Sinn von Freundschaften. Ich hätte mir mehr Papier mitnehmen sollen, denke ich. Und: Was für ein schöner Tag. Ich höre das Geräusch, das entsteht, wenn das Wasser über den Beckenrand in das Ablaufgitter läuft, ein immerwährendes Rauschen. Ich höre vereinzelt Vögel singen und Stimmen, die über das Wasser getragen werden. Höre, wie jemand, der es sich auf einer der Sprudelliegen bequem gemacht hat, sagt: „Dit wäre wat für Herrn Özbek.“
Es ist friedlich im Freibad. Den Personalausweis werde ich heute wohl nicht mehr brauchen. Gleich gehe ich eine Runde schwimmen.
* Die Domäne Dahlem ist ein Landgut mit großen Feldern im Berliner Südwesten, der „Rüdi“ heißt eigentlich Rüdesheimer Platz und ist einer der schönsten Plätze Berlins.
Was für ein schöner Text, der ausgehend von Freundschaften über Sommerpläne bis ins Freibad führt! Hoffe, du kannst den Restsommer in Berlin noch richtig genießen 🌄🌅
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Das hast du aber schön zusammengefasst. Heute Abend gehen wir jedenfalls schon mal in ein indisches Restaurant und sitzen draußen. Das steht auch auf der Liste.
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Brava! Und Brava, Pippilotta! Interessant ist ja (und das kenne ich auch), dass man, wenn man solche Dinge allein unternimmt, alles viel intensiver wahrnimmt und genießt. Und die Kassierer (das heißt, die Personen, mit denen man in Kontakt kommt) supernett sind. Ist man in Familie oder mit Freunden da, lässt man sich selten auf Fremde ein und ist weniger aufmerksam. Alleinsein inspiriert auch zum Beobachten und Schreiben, wie du es ja so schön erlebt und in deinem Text geschildert hast.
Ich wünsche dir noch viele schöne, spätsommerliche Tage, und dass du noch weitere Punkte deiner Sommer-To-Do-List abarbeiten kannst. Liebe Grüße! Anke
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Da schreibst du etwas Wahres. Ich finde auch, dass es interessant ist (und Spaß macht), Dinge allein zu unternehmen. Manchmal „traue“ ich es mich nicht, vielleicht, weil es ungewohnt ist nach all den Jahren, die ich ja in erster Linie mit meiner Familie unterwegs war. Manchmal fehlt mir in solchen Momenten der Austausch – ABER: manchmal ist es auch wirklich schön, diesen Austausch dann mit anderen unbekannten Menschen zu haben. Das ist mir im Schwimmbad gerade wieder bewusst geworden. Der Kassierer war nicht der Einzige, mit dem ich an diesem Vormittag geredet habe. Und „allein“ bedeutet ja keinesfalls „einsam“.
Was schön war: Mit meiner Begeisterung rund ums Schwimmen habe ich gleich eine meiner Freundinnen angesteckt, mit der ich dann am nächsten Tag nochmal im Freibad war. Einfach herrlich!
Wenn ich nächste Woche noch einmal gehen sollte (hoffentlich hält das Wetter), habe ich übrigens ein neues Buch parat! Es hat sehr vielversprechend begonnen und heißt – dreimal darfst du raten – „Mensch, Manu!“. 😉
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Liebe Sophie! Ich drücke fest die Daumen für anhaltendes Freibadwetter! Und das nicht nur, damit du Zeit zum Lesen hast. 😉 Bei uns in Norditalien scheint es sich auch nächste Woche noch gut zu halten. Liebe Grüße!
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ist es wegen sophie? ja!
danke für diesen schönen morgen mit dir bei dr. lochow. es hat so gut getan. brustschwimmend, plaudernd, spätsommerlich, herzerwärmend. du, meine liebe freundin, hast wie keine andere einen termin bei dr. verlagow verdient. (ich wünsch’ es dir so sehr.) und: ich möchte ungern eine schlägerei anzetteln müssen für mehr aufmerksamkeit für diesen herzigen blog.
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Liebe Elfe, jetzt hast du es mit wenigen Worten geschafft, mich sehr zu rühren (!) und zweimal zum Lachen zu bringen (Dr. Verlagow und Schlägerei anzetteln). Ich glaube, Dr. Lochow ist ein ziemlicher Geheimtipp. Nach einem Besuch bei ihm fühlen sich eigentlich alle wohl. „Dit wäre auch wat für Herrn Özbek“, da hatte der Mann auf der Sprudelliege ganz recht, und für alle anderen, die den Spätsommer noch ein bisschen genießen wollen.
Hoffentlich schwimmen wir bald wieder zusammen – mit oder gegen den Strom. 😉
Es grüßt von Herzen: deine Sophie
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