Zum ersten Mal: Kuscheltier-Airlines

oder: Gans, du hast den Fuchs gestohlen

Manchmal frage ich mich, ob ich für diese Welt vielleicht eine Fehlbesetzung sein könnte. Ob ich zu weich bin, ein Jammerlappen, eine Heulsuse. Ich habe mich das zum Beispiel gestern früh gefragt, als ich um kurz vor fünf wachgeworden bin und nicht mehr einschlafen konnte. Mich tröstet der Gedanke, dass vielleicht auch andere Menschen um exakt dieselbe Zeit wachliegen und sich exakt dieselben Dinge fragen.

Ich habe Freundinnen, die sich eigentlich permanent für sich selbst entschuldigen, fast so, als ob sie ein wandelnder Fehler wären. Frauen, die sich klein machen und manchmal sogar schlecht. Bei anderen frage ich mich immer, woher das kommt. Aber eigentlich spüre ich diese Unsicherheiten auch. Bin ich zu weich, ein Jammerlappen, eine Heulsuse? Ist es nachvollziehbar, was ich fühle? Und falls nicht, sollte es mir nicht eigentlich egal sein, was die anderen über mich denken? Dennoch neige ich dazu, diese emotionale Seite erklären zu wollen, manchmal verstecke ich sie. Manchmal entschuldige ich mich dafür.

Es gibt Momente, in denen ich mir in meiner Rolle als Mutter unsicher bin. Ich frage mich, ob Dinge, die ich tue, pädagogisch oder doch eher total unpädagogisch sind. Ich mache mir darüber Gedanken, ob ich in mancherlei Hinsicht auf dem falschen Dampfer bin und mich meine weiche Art dorthin gebracht hat. Zurzeit frage ich mich das im Hinblick auf mein Vorhaben, die gestohlenen Kuscheltiere meiner Töchter ersetzen zu wollen. Wird ihnen das helfen, über diese schlimme Erfahrung hinwegzukommen? Ist es gut und richtig, die Tiere wiederzubeschaffen? Oder müssen die Mädchen lernen, damit umzugehen, dass sich eben nicht alles ersetzen lässt und Verlust zum Leben dazugehört? (Oder sogar lernen, dass es zum Leben dazugehört, bestohlen zu werden?)

Meine drei Töchter hatten in unserem Herbsturlaub insgesamt neun (!) Kuscheltiere dabei: eine Maus und einen Otter, für die wir einst halb England durchquert haben. Die Katze Marie von den Aristocats, die ein Souvenir aus dem Disneyland in Paris war, ein Geschenk meiner Schwägerin Goldstück. Einen Sorgenfresser, der trotz seiner blitzblanken Reißverschlusszähnchen nichts gegen den Diebstahl hatte ausrichten können. Ein Schnuffeltuch in Wichtelform, das Supergirl von meinem Mann und mir zu ihrer Geburt geschenkt bekommen hat. Einen Elefanten aus dem Berliner Zoo, eine Fledermaus aus einem National-Trust-Shop in England, ein Schaf mit Knopf im Ohr, das ein Geschenk meines Cousins zu Baby Boss‘ Taufe war. Und – last but not least – einen kleinen Fuchs, den der Weihnachtsmann Baby Boss bei ihrer ersten Weihnachtsfeier in der Kita mitgebracht hatte.

Noch während wir in Rom von Polizeiwache zu Polizeiwache fuhren, um unsere Anzeige aufzugeben, versprach ich meinen Töchtern, den ihnen entstandenen Schaden zu ersetzen. Vor allem die Kuscheltiere. Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, ob es schwer werden würde oder leicht. Ich war noch nie in einer solchen Situation gewesen. Baby Boss erzählte ich von „Kuscheltier-Airlines“, einer Fluggesellschaft, die sich um gestrandete Kuscheltiere weltweit kümmern würde und sie zurück nach Hause brächte. Natürlich glaubt Baby Boss nicht mehr an solche Geschichten, aber ich hatte den Eindruck, es nahm ihr in dem Moment ein bisschen Last von ihren schmalen Kinderschultern.

Alle Kuscheltiere, die es bisher wieder zu uns zurück geschafft haben, wurden also von „Kuscheltier-Airlines“ eingeflogen. Der Elefant und der Sorgenfresser waren leicht aufzutreiben, im Berliner Zoo und übers Internet. Man könnte sagen: Sie hatten einen kurzen Flug ohne Turbulenzen. Die gestohlene Maus wird nicht mehr produziert, Belle fand sie dennoch „neu“ bei einem Spielzeugladen, der über Kleinanzeigen verkauft. Das Schaf wurde zwischenzeitlich durch eine neue Version ersetzt, war nicht mehr in Geschäften erhältlich, aber erfreulicherweise noch als Restposten online beim Hersteller. Der Otter stammte aus dem Zoo Leipzig. Ich fand ihn eher zufällig im Onlineshop eines Tierparks, der in einem Ort liegt, von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Marie (neu) und die Fledermaus (gebraucht) haben wir bei einer großen Verkaufsplattform in Großbritannien bestellt. Zum Preis kamen Einfuhrgebühren und Versand hinzu. Das Schnuffeltuch in Wichtelform wird nicht mehr produziert. Der Hersteller hat sich bereiterklärt, es als Einzelstück und per Hand erneut zu nähen. Über den Preis möchte ich nicht sprechen. Das Tuch ist es mir wert.

Es fehlt nur noch der Fuchs, für dessen Rettung mein Mann seine Seele und Daten an Mark Zuckerberg verkauft und sich bei Facebook registriert hat, um Suchanzeigen in Gruppen aufzugeben, die so klangvolle Namen haben wie „Schnuffi und Co. sehnlichst vermisst“ oder „Kuscheltierbörse“.

Zu meiner genialen Freundin Schneewittchen habe ich gestern gesagt, dass ich vielleicht noch bei uns in Frullerbü Aushänge machen müsste, um den Fuchs zu suchen, und sie schlug als Eyecatcher die Zeile „Gans, du hast den Fuchs gestohlen“ vor. Ich sage es ja: Sie ist genial.

Vielleicht betreiben mein Mann und ich zu viel Aufwand. Vielleicht sollten wir unsere Töchter anhand dieses Glanzstücks der Unmenschlichkeit lehren, wie man mit Verlust umgehen sollte. Vielleicht erziehe ich meine Kinder zu kuscheltierweichen Heulsusen, indem ich irgendwelche Airlines erfinde.

Vielleicht möchte aber auch ich daran glauben, dass gestrandete Kuscheltiere quer durch die ganze Welt ihren Weg nach Hause finden. Und dafür entschuldige ich mich jetzt ausnahmsweise mal nicht.

8 Kommentare zu „Zum ersten Mal: Kuscheltier-Airlines“

  1. Liebe Sophie, „Kuscheltier-Airlines“ finde ich aber auch genial😊 Ich drück fest die Daumen, dass der Fuchs letztendlich auch noch eingeflogen wird. Liebe Grüße.

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    1. Liebe Zeliha, vielen Dank für deine lieben Worte. ☺️
      Ich habe schon überlegt, den Fuchs „nachnähen“ zu lassen. Aber ohne Schnittmuster ist das wohl sehr schwer, habe ich mir sagen lassen.
      Liebe Grüße zurück!

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  2. Liebe Sophie,

    Dem „Bösen“ das Liebhaben entgegen setzen. Von der „Grübelebene“ auf die „Handlungsebene“ kommen. Dein Blog zeigt mit wie viel Zuneigung und Einfallsreichtum du an das Problem gehst. Dein Beitrag wird hoffentlich anderen Mut machen, sich auch in diesen Zeiten, die durch Verluste geprägt sind, nicht unterkriegen zu lassen. Lachen und Weinen gehören zum Leben; nur das Lachen setzt mehr Endorphine frei.

    Schreiben hilft. Es grüßt der „Follower“

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    1. Lieber Follower, deine Worte rühren mich, vor allem der Satz, der dem Semikolon folgt. (Das ist ein viel zu selten gesetztes Satzzeichen, über dessen unverhofftes Auftauchen ich mich sehr gefreut habe.) Auch der Satz „Schreiben hilft“ trifft für mich genau ins Schwarze.
      „Auf die Handlungsebene kommen“ – das hat ein jetzt älterer, weiser Mann auch schon in jungen Jahren gesagt. Ebenso wie „Ruhe bewahren und Schaden begrenzen“ übrigens. Beides hat uns jetzt in Rom und auch im weiteren Verlauf nach dem Diebstahl weitergeholfen. Und als Familie zusammenstehen. Das hat auch sehr gut geklappt und sich nicht nur auf uns fünf beschränkt. Auch die vier Großeltern haben sich mal wieder selbst übertroffen. Wir haben Glück.
      Liebe Grüße, Sophie

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  3. Im Nachwort zu seinem ersten Paddington -Band erzählt Michael Bond von einer Lesereise, auf der er einen Paddington Bären als Kuscheltier mit sich führte. Er wurde vom Flugpersonal darum gebeten, diesen während des Fluges beim Piloten zu lassen, damit der Bär das Flugzeug fliegen könne. Es gibt sie also wirklich, die Kuscheltier Airline….

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  4. Ich meine, deine Töchter lernen auf diese Art, dass in misslichen Situationen Handeln besser als Jammern ist und dass ihre Eltern sich richtig etwas einfallen lassen, um sie zu trösten. Das macht ihr genau richtig, liebe Sophie! Liebe Grüße!

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    1. Liebe Anke, es freut mich sehr, dass du es so siehst. Gerade heute ist eines der Kuscheltiere aus England angekommen und Baby Boss hat sich riesig darüber gefreut. Die kleine Fledermaus befindet sich jetzt, da gebraucht gekauft, im Schonwaschgang in der Waschmaschine. Heute Abend müsste sie dann bereit sein, ihren Platz in Baby Boss‘ Bett einzunehmen. 😉
      Ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende. Herzliche Grüße aus Berlin!

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