oder: Die Wichtigkeit des Augenblicks
Neulich bin ich über ein Zitat Brigitte Macrons gestolpert. In einem Interview hatte sie über die Beziehung zu ihrem rund 25 Jahre jüngeren Mann gesprochen, den sie kennenlernte, als er Schüler an der Schule war, an der sie damals unterrichtete. Unter anderem sagte sie: „Den Altersunterschied merken wir bestenfalls, wenn wir gemeinsam frühstücken – ich mit meinen Falten, er mit seiner Frische. Aber so ist es halt. Wenn ich nicht diese Wahl getroffen hätte, dann hätte ich mein Leben verpasst.“
Das hat mich beeindruckt. Vor allem der letzte Satz hat mich nachdenklich gemacht und gleichzeitig ermutigt. Nicht dazu, mein Glück mit einem jüngeren Mann zu versuchen, sondern den eigenen Weg zu finden. Darin steckt, dass man Dinge in die Hand nehmen kann, um sein Leben nicht zu verpassen, dass man vielleicht unkonventionelle Entscheidungen treffen muss. Dass es nicht zu spät ist. Dass es vielleicht nie zu spät ist. Eine Idee zu verfolgen, sich einen Traum zu erfüllen, eine neue Liebe zu finden, ausgetretene Pfade zu verlassen.
„Wenn ich diese Wahl nicht getroffen hätte, dann hätte ich mein Leben verpasst.“ Eine Wahl, die sicherlich nicht immer leicht zu vertreten gewesen war – den eigenen Kindern gegenüber, den Eltern, dem (Ex-)Mann. Es gab bestimmt viel Gerede und Gegenwind. Es ist nicht der erwartbare Weg, sondern einer gegen Widerstände. Ist das nicht inspirierend? Wäre die Geschichte ein Roman, ich würde ihn mir sofort kaufen.
Belle mag die Macrons. Belle findet ohnehin fast alles gut, was mit Frankreich zu tun hat. Nachdem ich das Zitat gelesen hatte, sprach ich sie darauf an. „Siehst du, jetzt magst du die Macrons auch“, sagte sie – fast schon triumphierend.
Gestern kamen sie und ich wieder auf das französische Präsidentenpaar zu sprechen. Es war einer dieser Nachmittage, wie es sie viel zu selten gibt. Keine Arzt- oder Kieferorthopädietermine, keine Hobbys, keine Hausarbeiten oder Hausarbeit, die dringend erledigt werden will. Ich hatte Belle gefragt, ob sie wüsste, wann die Macrons ihre Beziehung begonnen hätten. Ich hatte nur gelesen, dass Emmanuel Macron damals die Schule verließ (verlassen musste?) und nach Paris zog. Später kam er zurück und heiratete Brigitte, wie er es ihr als 17-Jähriger versprochen hatte. (Hallo, wo gibt es den Roman zu kaufen?) Zu diesem Zeitpunkt war er 29 Jahre alt, Brigitte 54, wie Belle mir mitteilte. Dank einer Internet-Recherche auf Französisch konnte sie mir auch ein Hochzeitsfoto der beiden zeigen.
Belle saß am Küchentisch und ich räumte ein bisschen in der Küche herum, aber nicht, weil ich es musste, sondern weil ich es wollte. Ich schnitt ein paar alte Äpfel auf, die schon braune Stellen hatten, und kochte ein Kompott daraus. Ich koche nie und schon gar kein Kompott und erst recht nicht am helllichten Nachmittag. Es war also ein besonderer Moment. Und Belle und ich plauderten über die Macrons und dachten über Fragen nach wie: Wenn ich eine Farbe/ein Buchstabe/ein Land/ein Tier/eine Zahl wäre, was wäre ich dann? Wir waren uns einig, dass ich Grün, ein S, England oder Dänemark, wahrscheinlich ein Hund („Aber so ein ganz unaufgeregter mit liebem Blick“, sagte Belle.) und ganz sicher die 8 wäre. Als Tier hätte ich Belles Ansicht nach auch ein Reh, ein Igel oder ein Kaninchen sein können.
Von Belle meinte ich, sie wäre wahrscheinlich die Farbe Hellblau, ein A oder vielleicht auch ein C, weil viele französische Namen und Worte mit diesem Buchstaben beginnen (Claire, Celeste, ciel). Ganz sicher wäre sie als Land Frankreich, als Tier vielleicht ein Pferd – elegant und anmutig, also kein pummeliges Pony, eher eine Araberstute – und als Zahl die 4 oder die 5.
Belle erklärte mir, wie ihrer Vorstellung oder ihres Wissens nach die Beziehung der Macrons begann. Es ging wohl um ein Theaterstück, das für eine Aufführung gekürzt werden musste und der junge Emmanuel ging bei seiner späteren Ehefrau ein und aus, um ihr dabei zu helfen. Woher Belle diese Informationen hat? Ich weiß es nicht. Ich glaube, Belle wäre eine gute Journalistin. Sie kann alles innerhalb kürzester Zeit recherchieren.
An der Geschichte der Macrons mag ich, dass es in diesem Fall endlich mal eine Frau ist, die einen wesentlich jüngeren Mann abbekommen hat – und nicht andersherum, wie in den wahrscheinlich allermeisten Fällen. Frauen jenseits der 40 können also eine gewisse Attraktivität ausstrahlen, selbst auf junge Männer. Das finde ich erbaulich. Ich käme nie auf die Idee, dass ich einem weitaus jüngeren Mann überhaupt auffallen würde.
Außerdem mag ich, dass sich der junge Emmanuel Macron seiner Sache so sicher war und – fast schon wie ein Märchenprinz – zurückgekommen ist, um seine Auserwählte zu heiraten. Ich glaube, dieser Aspekt gefällt auch Belle. Und sie denkt, dass die beiden nette Menschen sind, und findet sie total süß zusammen. „Man sieht, wie gern sie sich mögen“, sagte sie und schickte mir zwei Fotos auf mein Handy, die das bestätigen sollen und es auch tun. Auf einem küsst Emmanuel Macron seiner Frau sehr galant die Hand, wie es vermutlich nur die Franzosen können.
Am Ende unseres Gesprächs duftete es in unserer Küche nach Äpfeln und Zimt, wir hatten alles gesagt, was in diesem Moment wichtig gewesen war. Zu selten komme ich dazu. Vieles bleibt zwischen Arztterminen und Hausarbeit liegen: Äpfel mit braunen Stellen zum Beispiel und Worte.
Liebe Sophie,
deine Idee mit den Alltagsperlen hat mir gut gefallen. Sich die Zeit für Apfelkompott zu nehmen ist enorm wichtig. Wenn man da darüber hinaus noch das Glück hat, mit einer Tochter, die gerne recherchiert, über das Verliebtsein und das Kennenlernen und Frankreich zu plaudern, dann hat man alles richtig gemacht.
Wenn ich eine Zahl wäre, dann die 8, als Buchstabe X, als Land ein Rapsfeld auf Bornholm und als Tier ein Eichhörnchen.
Mach weiter so!
Es grüßt recht herzlich der „Follower“
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Lieber Follower,
herzlichen Dank für deine Selbsteinschätzung: 8, X, Rapsfeld auf Bornholm, Eichhörnchen. Das gefällt mir, vor allem das mit dem Rapsfeld. Da habe ich sofort eines vor Augen und Erinnerungen an wunderschöne Urlaube steigen in mir auf.
Der Nachmittag mit Belle war an sich nicht spektakulär, aber wahrscheinlich gehört er zu den schönsten, die ich erlebt habe. Vielleicht werde ich mich in ein paar Jahren dennoch nicht mehr daran erinnern, aber ganz sicher immer an dieses Gefühl, wie wunderschön es ist, sein Leben mit anderen zu teilen: den eigenen Kindern, dem Partner, den Eltern, den Freundinnen und Freunden – und der zweiten Reihe.
Herzliche Grüße, Sophie
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Welch eine glückliche Fügung, dass Belle auch gerade keine Hausaufgaben und keinen Sport hatte sondern Lust, mit Mama über das Leben zu schwadronieren. Ein wunderbarer Text, der mich auf ähnliche Momente mit meinen Töchtern (oder mit meinem Mann😉) hoffen lässt. Danke, liebe Sophie!
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Liebe Anke, als meine Töchter kleiner waren, hatte ich manchmal die Sorge, dass irgendetwas zwischen ihnen und mir verloren gehen könnte, wenn sie größer werden. Als ob die enge Verbindung darunter leiden könnte. Auch deshalb habe ich mich sehr schwer damit getan, mich von der Zeit zu verabschieden, in der meine Kinder klein waren. Jetzt merke ich, dass meine Sorge unberechtigt war. Die Beziehung verändert sich, aber die Verbindung leidet nicht darunter. Solche Nachmittage wie neulich zeigen mir das ganz deutlich. Und das Schöne daran ist: Oft kommen solche Momente vollkommen unverhofft.
Ganz herzliche Grüße, liebe Anke, ins frühlingshafte Italien!
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Das nenne ich Männer-Emanzipation: dass sie sich auch mal an eine ältere Frau herantrauen… 😉
Ach ja, hier kommt noch meine Selbsteinschätzung: Farbe Gelb, Zahl 5, Landstrich: definitely Cornwall!, Tier: Katze.
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Auch ich hatte dich definitiv als gelbe Fünf eingeschätzt. 😉 Cornwall hingegen gibt mir zu denken. Und dabei habe ich doch versucht, ein möglichst genaues Profil auf Grundlage deiner Kommentare zu erstellen. Ich dachte eher, du seist Katar. 😉
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