Immer mehr: Routinen

oder: Smartphone oder Sport?

Neulich bin ich abends gegen kurz nach elf von einer Feier zurückgekommen. Es war unter der Woche und am nächsten Tag musste ich arbeiten. Mir war es an diesem Abend nicht so gut gegangen, Kreislaufprobleme oder was weiß ich. Ich hatte mich also sogar ein bisschen nach Hause geschleppt. Hatte auf dem Rückweg in der U-Bahn „Vitamin-D-Mangel Symptome“ gegoogelt.

Als ich bei uns ankam, schliefen alle anderen schon, und ich hätte mich am liebsten auch direkt ins Bett gelegt. Stattdessen wusch ich mir die Hände, zog mein Kleid aus, legte meine Yogamatte auf den Boden im Wohnzimmer und machte 5-Minuten-Morgen-Yoga mit Mady, eine der kürzesten Sequenzen, die ich kenne, die aber zufällig in ihrem Dezember-Yogaplan auftaucht, wo ich sie später abhaken konnte. Nach der Yoga-Sequenz war ich zufrieden. Zum einen hatte mich das Yoga froh gemacht, zum anderen der Umstand, dass mein „Streak“, meine Strähne, nicht abgerissen war. Ich hatte am 1. Januar dieses Jahres damit angefangen, jeden Tag Yoga zu machen. Warum sollte ich am 4. Dezember damit aufhören? Ich konnte mich doch nicht so kurz vor Ablauf des Jahres hängen lassen.

Ich hatte übrigens damit gerechnet, an diesem Abend schon früher von der Feier aufzubrechen. Wenn ich gewusst hätte, dass sich das Programm derart verzögert, hätte ich meine tägliche Yoga-Routine schon mittags in meinen Tagesablauf eingebaut. Aber ich wusste es nicht und deshalb blieb mir nur die Nacht.

Ich habe mich mal gefragt, ob es für Menschen mit einer Zwangsstörung leichter ist, Routinen zu entwickeln. Ob sie vielleicht sogar in gewisser Weise anfällig dafür sind. Ritual, Routine, wo ist da der Unterschied? Aber ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich diesbezüglich keinen Startvorteil habe. Meine Zwänge suche ich mir nicht aus, die Routinen schon. An den Routinen habe ich Spaß, an den Zwängen nicht.

Dennoch habe ich mich an dem Abend nach der Feier gefragt: Beherrsche ich meine Routinen – oder beherrschen sie mich? Ich bin mir nicht ganz sicher. Im Moment merke ich vor allem eines: Meine Routinen werden immer mehr.

Da ist zunächst einmal die Yoga-Routine, die mir total guttut, und zwar sowohl körperlich als auch geistig. Es klingt vielleicht komisch, aber besonders gefallen mir Asanas, bei denen man den Rücken und die Wirbelsäule dreht oder biegt. Nach solchen Einheiten fühle ich mich richtig durchgeknetet. Das Jahr hat mich total dehnbar gemacht und ich rufe gern meine turnenden und super-gelenkigen Töchter Supergirl und Baby Boss zu mir ins Wohnzimmer, wenn ich meinen Oberkörper auf dem Boden sitzend auf meinen ausgestreckten Beinen ablege oder so. Mittlerweile komme ich auch fast weiter in den Spagat als meine Ballerina Belle. Ein perfekter Spagat mit 46? Das traue ich mir direkt zu.

Dann gibt es meine heißgeliebte Fitness-Routine. Sie findet nicht täglich statt, aber fast. Mindestens viermal pro Woche, würde ich sagen. Und sie bedeutet, dass ich an diesen Tagen rund eine halbe Stunde lang Fitness-Videos anschaue und dabei Chips esse. Hihi. Das stimmt natürlich nicht. Ich mache alle Übungen fleißig mit. Chips esse ich seit einer Offenbarung in Dänemark nur noch einmal im Monat.

Eine Sache, die mir am Fitness-Training besonders gut gefällt: Es führt erstaunlich schnell zum Erfolg. Neulich tastete Niko, äh, ich meine: mein Mann, anerkennend über meinen Rücken und befühlte die herausgearbeitete Muskulatur. Und mein Bruder und ich schickten uns vor kurzem Fotos von unserem Bizeps hin und her. Wir sind beide Freunde des Hanteltrainings und er schrieb zu meinem Foto: „Nice.“

In Sachen Sport gibt es außerdem noch meine Lauf-Routine, die mit zu meinen liebsten gehört. Besonders gern laufe ich am Wochenende mit meinem Mann. Das ist unser Sonntag-Morgen-Ritual geworden: rund sieben entspannte Kilometer durch den Volkspark oder den Berliner Unterbezirk Dahlem. Die zweite Strecke nennen wir die Frank-Walter-Steinmeier-Runde, weil wir ihn eines Morgens mal auf der Straße getroffen haben, als er gerade in sein Auto einstieg. Er und ich schauten uns an und ich musste erst mal eine Sekunde nachdenken, woher ich ihn überhaupt kenne. Dann machte es „Klick“ und ich lächelte ihn an und nickte zum Gruß und er nickte und lächelte ebenfalls. Irgendwie war ich froh, ausgerechnet vor unserem Bundespräsidenten so sportlich gewirkt zu haben.  

Fast am wichtigsten für mich ist aber die neueste Routine. Sie hat ausnahmsweise zwar nichts mit Sport zu tun, aber dennoch einen großen Wohlfühl-Faktor. Seit einigen Wochen schreibe ich nämlich JEDEN TAG an meinem Buch. Mindestens 10 Minuten. Und damit ich es auch wirklich durchhalte, habe ich eine Sparring-Partnerin, die ebenfalls seither jeden Tag an ihrem Buch schreibt: meine liebe Literaturfreundin Juskabo nämlich, mit der ich gemeinsam in Hamburg beim Schreib-Seminar war. Zur Aufmunterung und als Ansporn schicken wir uns gegenseitig immer jeweils ein ganz bestimmtes Emoji, wenn wir an unserer Geschichte schreiben oder geschrieben haben. Und nach getaner Arbeit füllen wir der jeweils anderen eine kleine Süßigkeit in eine bunte Tüte. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, tauschen wir die Tütchen aus. Und weil keine von uns der anderen weniger Weingummis mitbringen möchte, ist die bunte Tüte ein weiterer wichtiger Anreiz fürs Schreiben.

Wer jetzt denkt, dass mein Tag mehr als 24 Stunden und ich vielleicht nichts Besseres zu tun hätte, der irrt sich. Ich habe drei Kinder, eine 60-Prozent-Stelle und einen Waschsalon, wir haben keine Putzfrau, kein Au-pair und keinen Thermomix. Es ist alles eine Frage des Zeitmanagements und des Wollens. Außerdem hatte ich eine weitere Offenbarung, ähnlich wie bei den Kartoffelchips. Es ging um die Handynutzungsdauer, die mein Smartphone Woche für Woche für mich zusammenfasst:

Wenn ich es einrichten kann, im Schnitt rund zwei Stunden pro Tag irgendetwas an und mit meinem Handy zu machen (Kommunikation, Fotografie, Instagram), dann habe ich ganz offensichtlich doch noch ein bisschen Zeit übrig für Dinge, die mir wirklich Freude machen und von Nutzen sind.

8 Kommentare zu „Immer mehr: Routinen“

    1. Ich hätte ja am liebsten einen Zeitumkehrer wie bei Harry Potter. Dann könnte ich meine Arbeit erledigen, die Zeit danach zurückdrehen und hätte nochmal ein paar Stunden, um mit meinen Schreibprojekten voranzukommen. Das wäre traumhaft! Vielleicht würde ich dann auch wieder anfangen, Klavier zu spielen. Wer weiß? 🙂

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  1. Ich finde es super, dass du so viele Routinen hast und die nötige Zeit dafür aufbringst! Es ist auch deutlich sinnvoller angelegte Zeit als die Herumdaddelei mit dem Handy…

    Ich versuche gerade, eine kleine tägliche Routine einzuführen, und für wenige Minuten Rückenübungen zu machen. Bislang gelingt es mir und man hat ein gutes Gefühl danach. Mal schauen, ob ich an deinen Yoga-Streak herankomme…

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  2. Liebe Sophie!

    Das Thema Rituale hat mich richtig angesprochen. Ich selber bin ein Freund von diversen Ritualen, denn sie ersparen mir, im Alltag unnötige Entscheidungen immer wieder neu treffen zu müssen.

    Morgens esse ich entweder Toaste oder Müsli im Wechsel. Danach spiele ich am Computer eine Runde Skat, löse ein Kreuzworträtsel und suche das Quizwort. Um 15 Uhr nach einem Mittagsschläfchen trinke ich einen Milchkaffee. Danach gibt es „Monk“ oder „Friends“.

    Alles passiert, ohne dass ich eine Entscheidung treffen muss. Für jemanden, der es schwer hat, sich zu entscheiden, ist das Entlastung pur!!!

    Rituale erlebe ich als sehr hilfreich. Sie sind sicher entstanden, um den Alltag in den Beziehungen zwischen uns zu erleichtern. 

    In Familie, Kirche und in der Politik sind sie wichtig, um das Zusammenwirken zu ermöglichen. Sie dienen der Kommunikation und verhindern Einsamkeit. Erst die Schwierigkeit zur Kommunikation und der Selbstlauf von Ritualen in Form von Zwängen ist problematisch.

    Ich wünsche dir viele Erfahrungen, wie die mit dem Bundespräsidenten, um für das eigene Gleichgewicht zu sorgen. 

    Offen für neue Herausforderungen ist der, der auch den Ritualen seinen richtigen Platz zuweist.

    Trotz aller Routine jeden Tag etwas für sich tun:

    Schreiben, Yoga oder Laufen machen Spaß und verbrauchen Kalorien, so dass auch mal der eine oder andere „Chips“ möglich ist. Liebe Grüße vom „Follower“

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    1. Lieber Follower,
      es war mir – wie immer – eine große Freude, von dir zu lesen. Deine Worte haben mich teilweise zum Lächeln gebracht, manche zum Nachdenken. Ich mag diese Form des Austauschs: Ich teile mein Erleben mit meinen Leserinnen und Lesern – und quasi zum Dank bekomme ich ihre Gedanken zurück.
      „Friends“ habe ich auch immer gern angeschaut und Müsli esse ich morgens auch oft.
      Gute Erholung beim Mittagsschlaf (was für ein schönes Ritual) und viel Spaß mit dem Milchkaffee danach.
      Es grüßt sehr herzlich: Sophie

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  3. Liebe Sophie, ich habe leider nicht deine Disziplin, was die vielen Trainings betrifft. Daheim tägliche Übungen als Ritual durchzuziehen, fällt mir sooo schwer. Gut, dass ich den Aero-Gag-Kurs gefunden habe, bei dem ich mich wohlfühle und zu dem ich zweimal die Woche gerne hinmuss. Leider habe ich zu Beginn gleich übertrieben und mir einen Muskelbündelriss im linken Oberschenkel geholt. Und dann, ich war so schön in der Routine, Zähne zusammengebissen und weitergemacht. Das war falsch, weiß ich jetzt und muss noch weitere 20 Tage pausieren. Aber: Ich gehe trotzdem hin, die Arme sind ja nicht kaputt, und so komme ich gar nicht erst aus der Routine.💪
    Deinen Tipp, täglich am Buch zu schreiben, möchte ich übernehmen, da ist was dran. Ich muss nur erstmal den zündenden Einstieg finden. Vielleicht zwischen den Feiertagen?
    Herzliche Grüße zur Wochenmitte!

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    1. Herrje! Muskelbündelriss?! Ach, Mensch, das tut mir leid. Aber echt stark, dass du trotzdem zum Kurs gehst und weiter trainierst (zumindest die Arme)! Für die Routine ist das natürlich super und es erinnert mich an meine turnenden Töchter, die auch verletzt zum Training gehen und dann vom Rand aus zuschauen.
      Ich hätte übrigens auch gern so einen Kurs, vielleicht suche ich mir im nächsten Jahr etwas.
      Und was das Schreiben betrifft: Ich bin mir ganz sicher, dass du bald einen zündenden Einstieg finden wirst – und der Rest kommt dann von ganz allein. Neben meinem Kinderbuchprojekt bin ich jetzt irgendwie bei Hannahs und Nikos (Kurz-)Geschichte hängengeblieben. Irgendwie interessiert es mich, ob und wie es bei den beiden weitergeht … 😉
      Ich sende ganz herzliche Grüße zurück und freue mich immer über Nachrichten von dir!
      Für deinen Muskelbündelriss wünsche ich dir schnelle und gute Besserung!

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