Immer wieder: Alkohol auf Instagram

oder: Die Sektgläser der anderen

Ich stelle regelmäßig Fotos in meinen Status bei WhatsApp. Das hat zum einen damit zu tun, dass ich wahnsinnig gern fotografiere und bei WhatsApp eine kleine, ausgewählte Gruppe anderer Menschen mit meinen Bildern erreichen kann. Zum anderen versuche ich mit den Fotos zumindest manchmal ein bestimmtes Lebensgefühl auszudrücken: Dankbarkeit für all das, was ich habe.

Ich verfolge auch Statusmeldungen anderer Personen. Manche meiner Kontakte können wirklich sehr gut fotografieren – allein schon deshalb möchte ich keine ihrer Meldungen verpassen und oute mich hiermit als Follower. Bei anderen kann ich zum Beispiel sehen, wo sie im Urlaub sind oder was sie unternehmen. Das inspiriert mich manchmal für eigene Aktivitäten und Reisen.

Während der Sommerferien ist mir dabei etwas Interessantes aufgefallen, ich bin fast ein bisschen darüber gestolpert: Im Mittelpunkt zahlreicher Statusmeldungen oder Insta-Stories, die ich mir über den Zugang meines Mannes angeschaut habe, standen gefüllte Sektgläser, entkorkte Weine und Bierflaschen, von denen das Kondenswasser abperlte. Als Stillleben in Ferienhäusern, am Strand, auf dem Steg am See. Nicht nur vereinzelt, sondern teilweise bei ein und derselben Person an mehreren Tagen hintereinander. Pünktlich um 17 Uhr schienen überall auf der Welt – naja, zumindest überall in Europa – die Sektkorken zu knallen. Nur nicht bei uns. Das liegt aber nicht daran, dass wir nichts zu feiern gehabt hätten. Zumindest das Leben feiere ich jeden Tag auf bescheidene Art und Weise. Allerdings ohne Aperitif oder Absacker.

In meinem Leben spielt Alkohol eine untergeordnete Rolle, man könnte auch sagen: keine. Das hat verschiedene Gründe, einer davon ist meine Zwangsstörung. Ich bin lieber jederzeit vollkommen klar und habe gern die absolute Kontrolle über mich und im besten Fall über mein Leben als solches. Alkohol trinken ist für mich mit einem möglichen Kontrollverlust verbunden. Und schon das leiseste Benebeltsein, der zarteste Schwindel erinnern mich an Gefühle der Angst, die zum Beispiel besonders beunruhigende Zwangsgedanken in mir auslösen – die muss ich nun wirklich nicht künstlich mit noch dazu kalorienreichen Getränken selbst herbeiführen. Wie lange muss ich laufen, um ein Glas Sekt abzutrainieren? Sehr wahrscheinlich würde ich allein schon deshalb nicht auf die Idee kommen, einen kunterbunten Cocktail an der Strandbar zu bestellen, ihn zu fotografieren, meinen Kontakten zu präsentieren und ihn später ebenfalls medienwirksam zu konsumieren.

Vermutlich geht es bei jenen, die Alkohol auf Instagram oder in ihrem Status zeigen, ebenso wie bei mir darum, ein bestimmtes Lebensgefühl zu vermitteln. Aber ich bin mir nicht sicher, welches das sein soll. Was bedeutet es denn, Alkohol am Strand oder am Nachmittag oder nachmittags am Strand zu trinken? Etwas Gutes? Oder eher etwas Schlechtes? Ich übertreibe jetzt bewusst ein bisschen und möchte gar nicht päpstlicher als der Papst klingen. Ich fand es einfach bemerkenswert.

In dem Zusammenhang musste ich daran denken, dass es früher, als ich noch ein Kind beziehungsweise eine Jugendliche war, überall und ständig Werbung für Zigaretten gab und damit auch ein ganz bestimmtes Lebensgefühl vermittelt werden sollte. Für alle, die gar nicht mehr so genau wissen, was Zigaretten eigentlich sind: es handelt sich um diese kleinen weiß-braunen mit Tabak gefüllten Röllchen, die man rauchen kann. Ich würde fast so weit gehen zu sagen: Die Werbung damals sollte nicht nur zum Kauf einer bestimmten Zigarettenmarke animieren, sondern zum Rauchen überhaupt. Ich erinnere mich an kernige Cowboys, die endlose Weiten durchstreiften und Pferde zusammentrieben. Das ganze Geschehen donnerte einem lautstark und bildgewaltig von der Kinoleinwand entgegen. Wer hatte da nicht das Gefühl, sofort nach Ende des FiIms mit einem Fünf-Mark-Stück in der Hand zum Zigarettenautomaten laufen zu müssen? Ich bin jedenfalls sehr froh, dass meine Kinder nicht derart mit Rauchen konfrontiert werden wie ich damals.

Ich habe noch Slogans im Ohr wie „Come to where the flavor is“, „Liberté toujours“ oder „Come together“. Und ich erinnere mich an dieses Lebensgefühl, das damit verkauft werden sollte: Wer zur Zigarette griff, war frei, cool, anerkannt, schön und sexy. Und klar: darauf bin auch ich hereingefallen. Aber nur für kurze Zeit.

Jetzt scheint Rauchen irgendwie ziemlich aus der Mode gekommen zu sein, und ich habe dazu auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit recherchiert. Seit den 1980er Jahren sind die Zahlen der erwachsenen Raucher leicht rückläufig. Bei Jugendlichen ist die Raucherquote in den vergangenen Jahren aber deutlich zurückgegangen: von 27,5 Prozent der 12-17-Jährigen im Jahr 2001 auf 6,6 Prozent im Jahr 2018!!! Ähnlich sieht es bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 aus: 2001 haben 44,5 Prozent geraucht, 2018 nur noch 24,8 Prozent. All das vielleicht auch deshalb, weil Rauchen nicht mehr omnipräsent und gesellschaftlich nicht mehr besonders gut gelitten ist: Die Raucher drängen sich auf zugigen Feuerleitern und unter käseglockenartigen Raucherinseln. Wer sich dorthin verirrt, ist nicht mehr cool, sondern einfach nur süchtig. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich jemand mit glimmender Zigarette bei Instagram oder WhatsApp zeigt. Ist mir zumindest noch nicht untergekommen. Mein Bruder vielleicht? Oder sonst irgendwer von Babylon Berlin?

Beim Alkohol sieht es anders aus. Trinken ist gesellschaftlich total anerkannt und ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich eher erklären muss, wenn man es nicht tut. Sprich: Man muss schon einen triftigen Grund haben, nicht zum Glas oder zur Flasche zu greifen, sonst wird man ganz schief angeschaut. Frauen zwischen 18 und 48 wird dann zum Beispiel gern eine Schwangerschaft unterstellt. Ist mir schon passiert. Hat dazu geführt, dass ich am Folgetag meinen Bauch immer ein bisschen eingezogen habe.

Es ist übrigens nicht so, dass ich schon immer mehr oder weniger abstinent gelebt habe. Früher – in den von mir vielbeschworenen 90er Jahren – habe ich manchmal zu tief ins Glas geschaut. Ich erinnere mich an viele wilde Partys – und an einige eben auch nicht mehr so gut… Im Nachhinein denke ich, dass ich mir das hätte sparen können. Auch hier hat Werbung dazu beigetragen, ein bestimmtes Bild von alkoholischen Getränken und ihren Konsumenten zu vermitteln. Letztlich galt für sie dasselbe, was ich weiter oben über Raucher geschrieben habe. Wer cool sein wollte, griff zum Glas. Ich tue es seit fast zwei Jahrzehnten kaum mehr. Und mir bleiben noch mindestens fünf weitere Jahre, in denen ich mit dem Verdacht der anderen leben muss, schwanger zu sein. Cheers!

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