oder: Vier zu eins für Corona
Vor sehr langer Zeit waren mein Mann und ich im Theater. Ich glaube, er hat mir die Karten geschenkt, und das Stück, das wir gesehen haben, hieß „Der eingebildete Kranke“. Es war eine sehr gute Inszenierung und ich habe viel gelacht, über eine besonders witzige Szene sogar Tränen. Ich weiß, was mir mein Mann, der damals genau genommen noch mein Freund war, mit der Auswahl des Stückes sagen wollte. Natürlich habe ich gemerkt, dass ich nicht nur im Publikum saß und lachte, sondern gleichzeitig auch die Hauptrolle auf der Bühne spielte und vor lauter Angst vor Krankheiten und vor allem vor dem Tod ganz verrückt war. „Der eingebildete Kranke“: Das bin ich.
Ich kann nicht nur über gut inszenierte Theaterstücke lachen, sondern auch über mich selbst. Manchmal sogar über meine Hypochondrie, aber immer erst im Nachhinein. Denn eigentlich ist es schwer für mich, damit umzugehen. Zum Beispiel jetzt, während ich Corona habe.
Zuerst war meine kleinste Tochter infiziert, dann mein Mann. Wir anderen drei haben uns redlich bemüht, gesund zu bleiben. Aber Omikron nimmt darauf einfach keine Rücksicht. Ein paar Tage nachdem mein Mann positiv getestet wurde, dachte ich: Okay, jetzt bin ich dran. Ich hatte bis zu seinem ersten Krankheitsanzeichen – Halskratzen – in einem Bett mit ihm geschlafen. Wo auch sonst? Jetzt hatte ich leichte Symptome, ein bisschen Hüsteln und Heiserkeit, mehr nicht. Aber ich wusste ja, worauf das hinauslaufen kann. Nach dem Testen im Testzentrum habe ich kurz noch Einkäufe gemacht und bei dem Gedanken an das Ergebnis ganz weiche Knie bekommen. Da stand ich gerade an der Kasse.
Aber, nein, der Test war negativ. Meiner und der meiner großen Tochter und der meiner mittleren – leider nicht. Positiv, obwohl sie eigentlich keinerlei Symptome hatte. Bläschen im Mund, sagte sie, die hätte sie, die wären sonst nicht da. Weil ich kein Plastikvisier besitze, habe ich davon abgesehen, mir ein eigenes Bild von den Bläschen zu machen. Ich war ja noch negativ. Aber nicht wirklich erleichtert. Das positive Testergebnis meiner Tochter quittierte ich mit ein paar Tränchen, die ich in meiner Isolation im Schlafzimmer vergoss. Alles umsonst, habe ich gedacht. Eben noch stand es drei zu zwei für uns und jetzt wendet sich das Blatt und wir haben mehr Infizierte als Gesunde. So viele Viren. Jetzt haben wir verloren. Wir hätten ebenso gut alle Türen aufreißen können.
Am nächsten Morgen wusste ich: Jetzt bin ich wirklich dran. Ich musste für meinen Job noch ein Interview geben, es war eher ein Krächzen, dann habe ich einen Schnelltest gemacht: zwei rote Striche. An einem Jour fixe mit meinen Kollegen habe ich auch noch teilgenommen, geht ja, wir sitzen alle im Homeoffice, und verkündet: Ich bin heute positiv getestet worden. Betretene Mienen. Genesungswünsche.
Es ist das eingetreten, wovor ich mich seit zwei Jahren fürchte: Ich habe Corona. Eine Kollegin, die auch kürzlich erkrankt war, hatte mir noch eine Sprachnachricht geschickt: „Irgendwie ist es auch gut, es gehabt zu haben. Jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr darum machen, es zu bekommen.“ Auch meine mittlere Tochter argumentiert in diese Richtung: „Ist doch gut, dass wir jetzt nicht mehr täglich zum Testen gehen müssen. Jetzt sind wir ja infiziert.“ Ich verstehe total, was beide meinen. So geht mir das beim Spiel „Schwarzer Peter“. Wenn ich den gezogen habe, kann ich mich entspannen, der Nervenkitzel hat ein Ende. Aber so leicht ist das für mich nicht mit Corona. Dafür hat sich die Angst vor einem schweren Verlauf und vor Long Covid viel zu sehr eingebrannt.
Ich habe die Nachricht ganz tapfer weggesteckt, wahrscheinlich, weil ich damit gerechnet hatte. Am nächsten Morgen ging es mir allerdings nicht so gut. Meine Symptome waren dieselben wie zuvor: Heiserkeit und Husten. Aber dann passierte es. Ich war im Bad und hatte plötzlich das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Das kann ein Anzeichen für eine Corona-Infektion sein, das hat mir eine Bekannte geschrieben. Ich wusste ja schon, dass ich infiziert war, aber ich wollte auf gar keinen Fall eine von denen sein, die in Ohnmacht fallen. Ich habe das schon erlebt, es macht mir große Angst.
Ich stehe also im Bad und denke: Irgendwo festhalten, atmen, ruhig bleiben. Und: ich bin bestimmt nur unterzuckert. Aber auch: und was ist, wenn nicht? Dann ist es das jetzt, das ist Corona, jetzt wird es schlimm, meine Sauerstoffsättigung fällt. Ich weiß gar nicht, ob der Abfall der Sauerstoffsättigung Ohnmachtsgefühle macht, aber ich konstruiere einen Zusammenhang, es scheint mir plausibel. Dafür reicht meine Sauerstoffsättigung offenbar noch. Ich schaue auf meine Fingernägel, weil die in einem solchen Fall bläulich sein sollen. Sind sie nicht. Ich gehe vorsichtig zum Spiegel und schaue meinen Lippen an, die sind auch nicht blau. Mit der Sauerstoffsättigung scheint alles in Ordnung zu sein. Mir geht es ein kleines bisschen besser.
An dieser Stelle muss ich mal kurz etwas loswerden: Ich finde, dass Worte oftmals nicht reichen, um tiefgreifende Dinge zu beschreiben. Ein Plastikvisier ist ein Plastikvisier, ein Virus ein Virus. So weit, so klar. Aber das aufkommende Gefühl einer drohenden Ohnmacht, das nah an das Gefühl einer aufsteigenden Angstattacke heranreicht, scheint mir in Worte gefasst seltsam blass. Seltsam ohnmächtig.
Vorsichtig gehe ich über den Flur – mit Maske – und sage meinem Mann, dass es mir nicht gut geht, dass ich im Bad das Gefühl hatte, in Ohnmacht zu fallen. Er sagt: „Du bist bestimmt unterzuckert. Das ist alles.“ „Und wenn es wegen Corona ist? Vielleicht wird es jetzt schlimmer.“ „Nein, iss etwas. Dir ging es doch heute früh gut.“
Ich esse etwas, mache es mir dazu auf dem Sofa bequem, lege die Beine hoch – und fühle mich nach einiger Zeit tatsächlich besser. Also doch nur unterzuckert, denke ich, Corona hat nichts mit dem Schwächegefühl zu tun. Dafür aber mit der Sorge, die mein Herz zum Klopfen bringt und mich dazu, meinen Puls an der Halsschlagader zu überprüfen. Die Sorge ist fast immun gegen die Nachrichten von den „milden Verläufen“. Ich weiß: Sie wird erst im Laufe der Zeit vergehen. Und so lange werde ich mich beobachten. Heute und morgen und die nächsten Wochen.