oder: Wie bei Hempels unterm Bett
Wahrscheinlich habe ich es mir selbst zuzuschreiben, was neulich Abend passiert ist, weil ich das Wäschewaschen an mich gezogen habe. Wobei: das Waschen als solches ist mir eigentlich egal, das findet bei uns ja ganz klassisch in der Maschine statt und nicht etwa am Waschbrett, auch wenn es mir manchmal so vorkommt. Aber auf das Aufhängen lege ich Wert. Ich tue es nämlich nach einem ganz bestimmten System. Alles hat seinen Platz. Vor allem bei der Unterwäsche ist das wichtig. Ich hänge die Wäsche unserer Haushaltsmitglieder nicht durcheinander, sondern ordne sie schon auf dem Wäscheständer nach Besitzerinnen (sehr viele Unterhosen) und Besitzern (im Verhältnis sehr wenige Boxershorts). Ich mag es nicht, wenn jemand – sprich: mein Mann! – dieses System durcheinanderbringt. Ich tue mich auch schwer damit, die Wäsche, die zum Beispiel meine kleinste Tochter aufhängt, um mir zu helfen, so zu belassen, wie sie ist: verkehrtherum und latent verkrumpelt. Dann kann ich nicht anders und hänge sie heimlich (Ich schwöre: klammheimlich!) nochmal neu auf.
Neulich Abend jedenfalls sagte mein Mann: „Ich habe nur noch diese frischen Boxershorts.“ Dabei deutete er auf ein blau-kariertes Paar. Mehr musste er nicht sagen, mehr wollte er auch nicht sagen. Mir war ohnehin klar, was ich zu tun hatte. Wie bereits festgestellt: es liegt ja auch ein bisschen an mir. Am nächsten Tag habe ich also Wäsche gewaschen und gewissenhaft aufgehängt, einer meiner zahlreichen unbezahlten Nebenjobs.
Manchmal habe ich das Gefühl, unverhältnismäßig viel für den Haushalt zu tun, in dem ich lebe. Ich nicht allein, mein Mann übernimmt auch zahlreiche Aufgaben. Er kauft zum Beispiel ein und kocht. Wir sind ein gutes und eingespieltes Haushalts-Team. Deshalb macht es mir auch nicht allzu viel aus, wenn er mich nicht ums Wäschewaschen bittet, sondern mir die letzte frische Boxershorts vors Gesicht hält. Aber wir leben ja nicht zu zweit, wir haben noch drei Töchter im Alter von 8 bis 13 Jahren und zwei Zwergkaninchen. Die tun fast nichts und bei den Kaninchen kann ich das auch irgendwie verstehen. Was sollen die schon groß machen mit ihren pelzigen Pfötchen, als ab und zu mal übers Parkett zu wischen, wenn sie wie kleine Eiskunstläufer durch die Wohnung schlittern? Aber unsere Töchter tun ungefähr ebenso wenig wie die Kaninchen.
Ich frage mich, ob es ein Erziehungsfehler ist, ob es an mir liegt, mein Mann tut manchmal so und sagt, ich solle den Kindern nicht alles hinterherräumen. Vielleicht hat er recht. Manchmal ärgert es mich, wenn ich einen ganzen Tag lang an allen Ecken und Enden der Wohnung herumgeräumt und unsere Wäsche alphabetisch aufgehängt habe, und die Mädchen es abends noch nicht einmal schaffen, ohne Murren den Tisch zu decken. In solchen Situationen kündige ich ab und zu einen Streik an. Das beeindruckt nur niemanden. Macht Mami ja eh nicht, denken wahrscheinlich alle und lächeln ihr Engelslächeln. Drei Engel für Mami, das sage ich manchmal über die Mädchen, weil ich sie abgöttisch liebe. Und das empfinde ich selbst dann so, wenn mich überall in der Wohnung auf links gedrehte Söckchen, abgeschleckte Joghurtdeckel und Zopfgummis in allen Farben des Regenbogens auf die Existenz der fantastischen Drei hinweisen. Eigentlich würden mir die Fotos an den Wänden genügen. Aber vielleicht sehe ich das zu eng, vielleicht werde ich mich nach Joghurtdeckeln sehnen, wenn alle aus dem Haus sind, was hoffentlich noch ganz, ganz lange dauert. Vielleicht werde ich dann verkrumpelten Söckchen nachweinen.
Ich muss hier mal ein Geständnis machen: Meine drei Töchter und ich haben eine Gemeinsamkeit. Nicht nur sie lassen Dinge in der Wohnung verstreut liegen. Ich tue das auch. Aber dann gibt es einen alles entscheidenden Unterschied. Während ich die Sachen irgendwann wieder wegräume, kümmern sich meine Töchter nicht mehr um deren Verbleib.
Neulich und in Gedanken an einen möglichen Streik habe ich mal über mehrere Tage eine Bestandsaufnahme gemacht: Am Donnerstag zum Beispiel stand den ganzen Tag lang eine Zahncreme auf dem Küchentisch, die ich abends weggeräumt habe, und eine Schlafanzughose – rosa mit aufgedruckten Feen – lag neben unserem Bett auf der Seite meines Mannes, bis sie wieder gebraucht wurde. Am Freitag habe ich geringelte Wollsocken auf dem Küchenfußboden in der Nähe des Mülleimers entdeckt. Ein weiteres Paar befand sich im Flur neben dem Schuhschrank. Im Kinderzimmer habe ich am Mittag ein Frühstücksschälchen mit angetrockneten Müsliresten gefunden, im Laufe des Tages kamen noch ein weiteres Schüsselchen und ein leeres Joghurtglas hinzu. Abends war das Geschirr weggeräumt und innerlich bezichtigte ich meinen Mann als Streikbrecher – aber er war es gar nicht. Er hatte unserer kleinsten Tochter, die alles im Zimmer gehortet hatte, aufgegeben, das Geschirr wieder wegzuräumen, und sie hat es getan. Die Schilderung meines Mannes nahm ich zähneknirschend zur Kenntnis. Vielleicht hat er ja wirklich recht?
Am Samstag schaffte es meine älteste Tochter, eine Flasche Klebstoff, die sie vor mehreren Tagen im Wohnzimmer auf dem Teppich mittig im Raum stehen gelassen hatte, wieder in die Schublade mit den Büroutensilien zu räumen. Es hatte mich einige Energie gekostet, immer wieder daran vorbeizugehen und sie nicht aufzuheben. Denn ich neige wirklich dazu, meinen Töchtern hinterherzuräumen. Das Problem ist nämlich Folgendes: Ich fordere die drei ja sogar auf, ihre Sachen wegzuräumen. Mehrmals, eindringlich, flehend, mal leise, mal laut, im Vorbeigehen, manchmal rufe ich aus der Küche, dem Bad oder dem Wohnzimmer über den Flur. Aber meist geschieht daraufhin: NICHTS! Wenn ich überhaupt eine Antwort erhalte, heißt es oft: Das mache ich gleich. Der Satz macht mich irre! Das mache ich gleich! Gleich! Gleich bedeutet nämlich: NIE! Und dann knicke ich ganz unvermittelt ein. Es geht schneller, die Dinge selbst wegzuräumen, als die Mädchen ständig dazu aufzufordern. Eine halbwegs vorzeigbare Wohnung ist mir wichtiger als die Erziehungsgrundsätze zu „Es soll hier nicht aussehen wie bei Hempels unterm Bett“ auszufechten.
Meine Mutter hat mich in diesem Zusammenhang neulich daran erinnert, dass selbst mein Mann dazu neigt oder wenigstens neigte, Dinge einfach mal liegen zu lassen, und spielte dabei auf die Geschichte mit dem halben Nutella-Brötchen an. Oder war es ein Toast? Egal ob Brötchen oder Toast – es war in unserer ersten gemeinsamen Wohnung, die wir als Studenten bezogen hatten. Im Wohnzimmer stand auch unser Schreibtisch und ab und zu hat einer von uns dort gegessen, vermutlich während wir für irgendeine Klausur gelernt haben. Eines Nachmittags oder eines Abends saß ich auf unserem Sofa, das am anderen Ende des Raums stand, und entdeckte von weitem etwas Undefinierbares unter dem Schreibtisch liegen, bräunlich und eher unscheinbar. Dennoch war mein Interesse geweckt. Langsam stand ich auf und näherte mich dem Tisch und erkannte dort besagte mit Nutella bestrichene Brötchenhälfte. „Hier liegt ein Nutella-Brötchen am Boden!“, rief ich. „Ach ja, schon seit gestern. Ich habe vergessen, es aufzuheben.“ Auch bei den Hempels fällt das Brötchen – Entschuldigung, der Apfel! – nicht weit vom Stamm.