Immer wieder: Frozen

oder: Homeoffice Sweet Homeoffice

Anfang der Woche war ich mal wieder im Büro. Ich meine im richtigen. Nicht einfach nur im Wohnzimmer am Esstisch, wo ich seit drei Jahren meinen Arbeitslaptop aufstelle. Auf zwei Puzzlekartons übrigens, damit es mit der Höhe einigermaßen passt und ich beim Schreiben nicht die ganze Zeit nach unten schauen muss. Ergonomisch ist das trotzdem nicht. Das mit den Kartons war nur als Notlösung gedacht, für den Moment. Wird doch nicht so lange dauern im Homeoffice, oder? Aber es dauerte. Und es dauert erstaunlicherweise immer noch an. Während andere Berufsgruppen wieder an ihre gewohnten Arbeitsplätze zurückgekehrt sind (oder nie weg waren), sitze ich mit meinem klassischen Bürojob mehr oder weniger zuhause fest. Ich darf ins Büro fahren, aber ich muss nicht. Und das „Nicht-Müssen“ stellt mich vor eine Herausforderung.

Ich habe bereits erwähnt, dass es mir sehr schwerfällt, die früher aufgezwungene, jetzt zur Gewohnheit gewordene Homeoffice-Routine zu durchbrechen. Die Tage, an denen ich pro Monat ins Büro fahre, kann ich an einer Hand abzählen. Unser Arbeitgeber hat keine Ansage gemacht wie: „Kommt doch jetzt mal alle wieder zurück ins Büro. Bitte.“ Ich halte das für ein Versäumnis. Jetzt sitze ich vor den Puzzlekartons am Esstisch und ringe mit mir: Soll ich wirklich fahren oder lass ich‘s lieber sein? Eigentlich weiß ich ganz genau, wie gut es mir tut, vor Ort zu arbeiten. Aber ich weiß zum Beispiel auch, dass es besser wäre, nicht jeden Freitagabend Chips zu essen, wenn wir als Familie unseren sogenannten Freitagsfilm schauen. Und trotzdem tue ich es Woche für Woche wieder.

Ich zähle jetzt mal ein paar Sachen auf, die ich an der Arbeit im Büro mag: Ich finde es schön, dorthin zu radeln. Die Fahrt hin und zurück hilft mir, eine Distanz zwischen meinem Job und meinem Privatleben aufzubauen. Das gelingt mir nicht so gut, wenn sich mein Laptop in unserer Wohnung innerhalb von 30 Sekunden erreichen lässt, egal, wo er sich befindet. Ich finde es schön, meine Kolleginnen und Kollegen zu treffen. Natürlich mag ich nicht alle, aber einige dafür umso mehr. Ich tausche mich gern mit ihnen aus – über die Arbeit und privat. Ich mag es, in meinem ergonomisch geformten Schreibtischstuhl zu sitzen und auf meinen riesigen Bildschirm zu schauen. Wenn ich im Büro bin, fühlt sich alles, was ich tue, nach Arbeit an. Auch private Mails abrufen oder aus dem Fenster starren. Von meinem Büro aus sehe ich oft Eichhörnchen an der berankten Fassade gegenüber klettern. Ich mag es, in Sitzungen die atmosphärischen Schwingungen aufzunehmen, die sich in einer Videokonferenz kaum erahnen lassen.

Videokonferenzen sind ohnehin so eine Sache für sich. Diese Woche hatte ich zum Beispiel von zuhause aus ein Seminar, an dem wir alle per Video teilgenommen haben. Eine Kollegin leitete die Schulung. Ich hatte meine Kamera zunächst eingeschaltet, obwohl ich das nicht sonderlich mag. Warum? Es fühlt sich komisch an, dass ich mich die ganze Zeit sehe: unten rechts in der Ecke meines Bildschirms. Ich bilde mir ein, dass ich im wahren Leben mehr hermache. Das liegt vielleicht daran, dass ich mich ja normalerweise spiegelverkehrt sehe und die Kamera mich zeigt, wie ich wirklich bin. Sobald mein Blick auf mich fällt, was magischerweise alle paar Sekunden passiert, frage ich mich: Wer ist diese Frau mit den Augenringen, dem dünnen Haar und dem kantigen Kiefer? Bin ich das? Oder nur eine müde Kopie meiner selbst? Kann ich mich vielleicht geschickter hinsetzen? Ins Gegenlicht? Damit man meine Augenringe nicht mehr sieht, meine Haare voller aussehen und mein Kiefer weichgezeichnet wird? Gibt es einen Filter, den ich nutzen könnte? Meine Töchter kennen sich damit aus. Supergirl hat Bilder von mir als Disneyfigur gemacht. Da sehe ich richtig gut aus (alle weiblichen Personen tun das). Oder Fotos mit Baby-Filter. Die sind wirklich niedlich.

Im Verlauf der Sitzung musste ich meine Kamera ausschalten, obwohl ich das bei solchen Schulungen ein bisschen unhöflich finde. Es passierte nämlich etwas, das noch schlimmer ist, als sich die ganze Zeit selbst rechts unten in der Ecke des Bildschirms ohne Filter zu sehen. Die Leitung war schwach und ich war mehrmals eingefroren: frozen! Aber nicht als Disneyfigur, sondern mit halbgeschlossenen Augen und verzerrtem Mund. Also, so schlimm war es diesmal nicht, aber es hätte so kommen können! Ich hatte schon wirklich wichtige Gespräche, die wegen einer schlechten Leitung zu einer Farce verkommen sind. Eingefrorene Bilder! Abgehackte Sätze! „Was hast du gerade gesagt?“ „I-I-I-I-c-c-c-h-h-h?“ „Ja, du!“ Es ist manchmal nicht zum Aushalten. Während der Schulung bin ich wegen der schlechten Leitung sogar einmal rausgeflogen und musste mich neu einwählen. Dann erscheint man im Meeting plötzlich wieder. Wie so ein Springteufel.

Gestern hatte ich einen weiteren Termin im Büro. In Präsenz, wie es jetzt heißt. Früher war man ja irgendwie immer mehr oder weniger präsent. Jetzt kann es schon mal vorkommen, dass jemand während eines Videomeetings die Wäsche aufhängt. Bei ausgeschalteter Kamera natürlich. Ist das arbeitsrechtlich überhaupt zulässig? Ich frage für eine Freundin.

Jedenfalls wollte ich um 9 Uhr vor Ort sein, das Treffen sollte um 11 Uhr stattfinden. Morgens regnete es in Strömen und ich bin für den Weg zur Arbeit auf mein Fahrrad angewiesen. Da war ich eigentlich ganz froh über mein unergonomisches Homeoffice. Ich stellte meinen Rechner auf die Puzzlekartons und begann zu arbeiten. Ins Büro fuhr ich erst, als der Regen aufgehört hatte. Früher wäre ich nass geworden. Homeoffice Sweet Homeoffice. Oder nicht?

8 Kommentare zu „Immer wieder: Frozen“

  1. Das kommt mir doch sehr bekannt vor, was du da schilderst. Allerdings hatte mir mein Chef einen wirklich guten Schreibtischstuhl für zuhause spendiert, was das „Leiden“ etwas abgemildert hatte. In zwischen arbeite ich aber wieder fast ausschließlich im Büro, nutze nur noch in Ausnahmefällen die Möglichkeit zum Homeoffice. Insbesondere wegen der von dir auch beschriebenen Distanz zwischen Job und Privatleben.
    Grüße
    Matthias

    Gefällt 1 Person

    1. Ich hätte meinen Schreibtischstuhl aus dem Büro auch mit nach Hause nehmen dürfen. Aber ich wusste nicht so recht, wohin damit, wenn ich gerade nicht darauf sitze. Solche Bürostühle sind ja doch sehr raumgreifend…
      Am liebsten würde ich die Homeoffice-Routine durchbrechen. Das täte mir gut! Ich habe ab April eine Weile frei. Vielleicht gelingt es mir danach besser, wieder öfter ins Büro zu fahren.
      Herzliche Grüße!

      Like

    1. Ja, schrecklich ist das! Ich gehe zwar davon aus, dass meine Kolleginnen und Kollegen nicht über mein eingefrorenes Gesicht lachen – allein schon, weil sie erwachsen sind. Aber man weiß ja nie… 😉

      Like

  2. Liebe Sophie, das tägliche stundenlange „sich-selbst-in -Teams- Anstarren“ ist ein Graus, die Psychologie hat wohl schon ein neues Fachwort für die Folgen.
    Aber ein bisschen Hoffnung gibt es für Selbstbewusstsein und Rücken. 🙂 Teams hat für uns inzwischen eine leichte Weichzeichnermöglichkeit; eine Kollegin, die immer wie frisch von der Visagistin aussieht, vertraut darauf, das Gegenlicht einer 12 Euro Lampe von Ikea seine erstaunliche Wirkung entfalten zu lassen; und die Puzzlekisten kannst Du schnell und schmerzlos gegen den Wunderständer von Boyata austauschen, der Dir kaum Platz klaut. Und wenn dann alles fertig ist, beordern Deine Chefs Dich trotzdem hoffentlich endlich für 1 oder 2 Tage/ Woche zurück ins Büro! Ganz retro und ganz in Präsenz wird dann das Büro genossen. Und sich nach Hause gesehnt…

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe MissLazy, vielen Dank für deine Nachricht, die mich zu einer Recherche veranlasst hat. Ich finde es nämlich total interessant, dass sich auch die Wissenschaft darauf gestürzt hat, was Videotelefonie mit einem macht. In der „Welt“ habe ich dazu gelesen, dass es anstrengender sei, sich per Videotelefonat zu unterhalten, weil man seine Aufmerksamkeit nicht nur auf den Gesprächspartner richte, sondern auch verstärkt auf sich selbst. Das geht mir ganz genauso. Dabei WILL ich das gar nicht. Es lenkt mich einfach vom Gespräch ab, mich selbst zu sehen.
      Von der Weichzeichnerfunktion hat mir mittlerweile auch eine Kollegin erzählt. Ich werde das bei Gelegenheit mal ausprobieren. Und den Wunderständer habe ich zwischenzeitlich auch gefunden (nachdem ich zuerst bei einem belgischen Fußballspieler gelandet war). Danke für den Tipp! 🙂
      Herzliche Grüße!

      Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s