Zum letzten Mal: Everybody’s Darling

oder: Der Kuschelkurs endet

Ich glaube, mein Bruder würde gern mal wieder in einem Blogbeitrag vorkommen. Neulich hat er sich sogar schon in einen Text hineininterpretiert, als ich über jemanden mit Flecktarn-Jacke schrieb. Er hat nämlich auch eine, aber ich habe damals nicht ihn gemeint. Ständig gibt es erste Male in seinem Leben, von denen er mir beschwingt erzählt: Lesebrille, Teenager-Kinder etc. Macht er das mit Absicht? Vor kurzem schlug er mir vor, doch mal über Sternzeichen zu schreiben. Er hätte da ein paar Geschichten auf Lager. Wer ihn kennt, wird das vielleicht überraschend finden. Mein Bruder wirkt nämlich ganz bestimmt nicht wie jemand, der etwas mit Astrologie am Hut hat, und das liegt nicht nur an der Flecktarn-Jacke. Soll ich mich jetzt also endlich erweichen lassen und über ihn schreiben? Zumindest am Rande? Ich meine, ja.

Mein Bruder reitet gern darauf herum, Löwe zu sein, und wahrscheinlich ist allein schon das bezeichnend. Löwen finden sich ja meist ganz gut, vielleicht sogar bemerkenswert. In meinen Augen ist er das auch, aber ich bin schließlich seine kleine Schwester und habe wahrscheinlich schon immer zu ihm aufgeschaut. Aber ich finde, er hat es auch verdient. Er hat ein Herz aus Gold. Einem Löwen kommt so viel Bewunderung bestimmt ganz gelegen. Nicht wahr?

Ich bin vom Sternzeichen her Everybody’s Darling. Ach, Moment, das ist ja gar kein Sternzeichen. Ich bin Waage, und wenn ihr mich fragt, ist das verdammt nah an Everybody‘s Darling dran. Ich möchte ein guter Mensch sein, eine gute Mutter, eine gute Tochter, eine gute Freundin, Mitarbeiterin des Monats, verlässlich und freundlich. Ach, und natürlich eine gute Ehefrau, was auch immer das heißen mag. Muss ich bei Gelegenheit mal meinen Mann fragen.

Ich möchte gut sein, weil ich das wichtig finde. Kindness can change the world. Ich möchte, dass andere mich mögen. Und ich weiß nicht so recht, was mein Problem ist, aber ich möchte sogar Leuten gefallen, die ich selbst nicht mag.

Waagen sind ja bekannt dafür, dass sie ausgleichend sind und gern auch mal zurückstecken, um die Harmonie nicht zu gefährden. Sie sollen friedliebend, verständnisvoll und diplomatisch sein. Gerade habe ich nachgelesen, dass Waagen als perfekte Gesprächspartner gelten, die sich nicht nur gern mitteilen, sondern auch gute Zuhörer sind. Die Einschätzung, ob das stimmt, überlasse ich meiner Familie und Freunden. Pünktlichkeit und Höflichkeit hätten einen hohen Stellenwert für Waagen. Das war mir neu, aber ich kann es bestätigen.

Besonders berührt hat mich folgender Satz: „Das Sternzeichen versucht, die Welt mit seinem feinen Sinn für Liebe und Schönheit zu einem angenehmeren Ort zu machen.“

Mit (fast) allen Waagen, die ich kenne, verstehe ich mich ausgezeichnet. Belle ist Waage, meine Mutter und Goldlöckchen sind Waagen. Meine Friseurin ebenfalls. Waagen passen gut zueinander, habe ich gelesen: „Waage + Waage = Harmonie pur!“ und „Zwei Waagen finden so gut wie immer einen Weg oder im Streitfall einen fairen Kompromiss, der beiden halbwegs (oder abwechselnd) gerecht wird.“  Perfect match. Aber auch mit Zwillingen kommen Waagen gut zurecht und mit Wassermännern. Habe ich beides in der Familie. Stimmt also.

Unter der Überschrift „Schwächen“ kann man nachlesen, dass Waagen einen empfindlichen Charakter haben sollen. Und obwohl sie selbst als gute Vermittler gelten, sollen sie konfliktscheu und dadurch sehr verletzlich sein. Sind das Schwächen? Ich bin mir nicht so sicher. Auch in dieser Beschreibung finde ich mich jedenfalls wieder. Zu hundert Prozent.

Es fällt mir schwer, für mich einzustehen, es fällt mir schwer, anderen zu zeigen, wenn sie Grenzen bei mir übertreten haben. Es fällt mir schwer, andere zu kritisieren. Und zwar nicht in erster Linie, weil ich Angst vor ihrer Reaktion habe, sondern weil ich sie nicht verletzen möchte.

Ich kann nicht gut „Nein“ sagen und ducke mich eher weg, als dass ich klare Kante zeige. Ich bin oft so lieb, dass ich das Gefühl habe, andere könnten das mit Dummheit verwechseln. Wenn mich jemand verletzt, lächle ich das oft weg.

Das darf man auch anstrengend finden. Mich selbst strengt es übrigens auch an. Es kostet mich Kraft. Ich bin seit 45 Jahren so und langsam merke ich, dass das nicht mehr funktioniert. Ich kann nicht zu allem „Ja“ und „Amen“ sagen. Und ich kann auch nicht allen alles durchgehen lassen und ständig rote Teppiche um mich herum ausrollen, damit alle darauf entlangstolzieren können. Ich möchte, dass andere auch mir rote Teppiche ausrollen, dass sie auf mich zukommen und meine Bedürfnisse erkennen oder zumindest danach fragen. Das wäre übrigens auch bei der Arbeit schön. Ich würde mir wünschen, dass andere mich mögen, WEIL ich so verletzlich bin und nicht, OBWOHL es so ist.

Ich glaube, Löwen haben mit alledem nicht so ein Problem. Sie gelten als stark, energisch und beharrlich. Und ich glaube, sie lassen sich nicht so einfach die Butter vom Brot nehmen. Oder die Antilope aus der Pranke. Im Löwen stecke auch ein schnurrendes Kätzchen, habe ich gelesen. Ich werde demnächst mal die Flecktarn-Jacke lüften und nachschauen.