Zum ersten Mal: Nackt in der Sauna

oder: Textilfreie Tatsachen

Vor etwa zwei Jahren hat mein Mann in einer Therme im Umland das Dampfbaden für sich entdeckt. Neben all den Innen- und Außenbecken mit Sole- und Quellwasser, den Massagedüsen und Sprudelbänken und dem Strömungskanal gibt es dort als „zusätzliches Highlight“ den „Textilwellness-Bereich mit exklusiven Sauna- und Dampfbadangeboten mit Badekleidung“, wie es auf der Website der Therme heißt. Während unsere Töchter und ich im Außenbecken planschten, saß mein Mann im Dampfbad und genoss die Ruhe. Als wir auf einer Sprudelbank relaxten, saß mein Mann im Dampfbad und begann zu schwitzen. Während wir im 40 Grad warmen Quellwasser die Seele baumeln ließen, tat mein Mann dasselbe im Dampfbad. Als meine Töchter und ich uns im Strömungskanal treiben ließen, duschte sich mein Mann kurz kalt ab, um danach ins Dampfbad zurückzukehren.

Mein Mann ist niemand, der sich und sein Wohlbefinden in den Mittelpunkt rückt. Was er für sich tut, verursacht so gut wie nie Kosten. Er geht joggen und kauft sich alle paar Jahre neue Turnschuhe. Er spielt ab und zu Basketball bei der Arbeit und macht zuweilen Fitnessprogramme zuhause, die von Sportlern in YouTube-Videos angeleitet werden. Gratis. Er kauft kaum Kosmetik – mal einen Rasierschaum, mal eine Gesichtscreme und ein Duschgel „for men“ – und so gut wie nie Kleidung. Er würde niemals ein Vermögen dafür ausgeben! Auch die Preise für die Therme sind ihm ein Dorn im Auge. Wir müssten mit Engelszungen auf ihn einreden, um dorthin zu fahren – gäbe es dort nicht das Dampfbad, das mit Sirenengesängen nach ihm zu rufen scheint.

Die Sirenengesänge wollte ich mir diese Woche zunutze machen. Unsere Töchter waren für ein paar Tage zu Besuch bei meiner Schwägerin, der besten von allen übrigens. Und ich plante einen Tag in der Therme: nur mein Mann und ich. Die Kostenersparnis (zwei statt fünf Personen, Kinderpreise gibt es in der Therme nicht) sprach für sich. Ob wir nicht einfach einen Gleittag beantragen und es uns im Berliner Umland gutgehen lassen könnten? Nach einigem Hin und Her sagte mein Mann zu.

Zwei Tage zuvor schaute ich auf die Website der Therme, um erschrocken festzustellen, dass der „Textilwellness-Bereich“ wegen Reparaturarbeiten gesperrt wäre. Das Ein und Alles meines Mannes, das einzige Portiönchen Wellness, das er sich ab und zu gönnte, würde nicht zur Verfügung stehen. Die Sirenengesänge verstummten abrupt. „Für mich lohnt es sich nicht, in die Therme zu fahren, wenn das Dampfbad gesperrt ist“, sagte mein Mann enttäuscht. Und schob hinterher: „Für mich ist es das Highlight.“

Wir verbrachten die nächsten 48 Stunden damit, nach einer Alternative zu suchen. Berlin ist geradezu umzingelt von Thermen. Aber kaum eine bietet einen „Textilwellness-Bereich“. Fast überall sonst muss man sich – Achtung! – nackt ausziehen, um die Saunawelt auch nur betreten zu dürfen. Auch unsere Lieblingstherme bietet einen riesigen Saunabereich, unter anderem mit Oliven-, Kräuter- und Piniensauna, Hamam und orientalischem Dampfbad. Zu einem Aufpreis von fünf Euro pro Nase können Thermenbesucher in den Saunabereich wechseln. Allerdings nur unbekleidet, versteht sich von selbst. Geht es ums Saunieren, scheint übrigens kein Thermenbetreiber den Begriff „nackt“ zu verwenden, es heißt vielmehr „textilfrei“. Ein Euphemismus, finde ich. „Nein, ich bin gar nicht nackt, ich bin nur textilfrei.“

Unter uns: ich bin kein Fan von textilfreien Tatsachen. Ich lege meine Kleidung in der Regel nur einmal pro Tag ab, und zwar um zu duschen und vielleicht auch noch auf dem Weg dorthin. Für den Rückweg wickle ich mir ein Handtuch um den Körper. Warum? Ich bin einfach nicht gern nackt oder auch nur textilfrei. Ich finde Nacktheit privat. Ich geniere mich. Und wenn ich an FKK und Aufenthalte in der Sauna denke, fällt mir eigentlich nur eines dazu ein: Ich möchte nicht, dass mich wildfremde Menschen nackt sehen und – vielleicht noch viel wichtiger – ich möchte auch keine wildfremden Menschen nackt sehen.

Ich glaube, darüber hinaus gibt es noch ein weiteres „Problem“. Ich habe keine Modelfigur. Ohne Textilien lässt sich keine Delle und kein Pölsterchen kaschieren. Ich weiß nicht, ob ich mich mit breiter Brust und nackt wie Gott mich schuf irgendwo hinsetzen und sagen kann: „Seht mal alle her, ich fühle mich pudelwohl in meiner Haut.“

Mein Mann ist übrigens auch niemand, der in Saunas ein- und ausgeht und sich bei jeder Gelegenheit sein Adamskostüm überstreift. Für einen Aufenthalt im Dampfbad würde er aber eine Ausnahme machen. Ihr wisst schon: Sirenengesang.

Nachdem mein Mann und ich trotz ausführlicher Recherche keine Alternative zu unserer Lieblingstherme gefunden hatten, gab er klein bei. „Okay, dann fahren wir eben dorthin“, sagte er. „Dann eben ohne Dampfbad.“ Es war ein großer Schritt in meine Richtung, ein gewaltiger. Er tat es nur für mich. Weil er wusste, wie wichtig mir dieser gemeinsame Wellness-Tag war.

Auf diese Art funktioniert unsere 25-jährige Beziehung, unsere bald 18-jährige Ehe: Mein Mann kommt ständig auf mich zu – und ich auf ihn. Dabei müssen wir keine weiten Distanzen überbrücken, wir stehen ohnehin dicht beieinander. Aber die kleinen Schritte, die es für das Gelingen einer Beziehung braucht, gehen wir aufeinander zu, jeden Tag aufs Neue. Mein Mann ist nicht nur mein Mann, sondern auch – neben all meinen wunderbaren Freundinnen – mein bester Freund.

Ab dem Moment, in dem er sich entschloss, auch ohne Dampfbad in die Therme zu fahren, überlegte ich, es zu tun: Mit ihm für fünf Euro Aufpreis pro Nase die Schwelle zur Saunawelt mit all den Topmodels zu betreten, die textilfrei wahrscheinlich sogar noch besser aussehen als ich angezogen. Ich überlegte, ob ich vielleicht falsch lag und nicht alle Saunagänger Topmodels wären. Ich dachte darüber nach, dass sich Textilfreiheit vielleicht sogar normal anfühlen könnte, wenn alle unbekleidet herumliefen. Dass Nacktheit in einer Sauna so wenig Aufsehen erregt wie eine Pudelmütze am Nordpol. Und ich dachte darüber nach, dass die Saunawelt der Therme riesig ist und wir ja nur die Saunas und Dampfbäder besuchen könnten, in denen nicht so reger Betrieb herrschen würde. Kurzum: Ich entschloss mich, meinem Mann ebenfalls einen Gefallen zu tun. Wenn er mit mir auch ohne sein persönliches Highlight in die Therme fahren kann, dann würde ich auch all meine Komplexe gemeinsam mit meinem Bikini abstreifen können und mit ihm die Saunawelt betreten.

Und was soll ich sagen? Es war nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mehr noch: es war gar nicht schlimm. Meistens saßen wir ohnehin nur zu zweit in Dampfbad oder Sauna. Wenn nicht, bedeckte ich mich etwas mit meinem Hamam-Tuch. (Man muss es ja nicht gleich übertreiben.) Wir duschten uns kalt ab, textilfrei, wie wir waren, mit der Vorderseite zur Wand gedreht. Es wäre nicht nötig gewesen, denn niemand schaute uns an. Das große Schwimmbecken, in dem alle Textilfreien munter vor sich hin planschten, besuchten wir nicht. (Man muss es ja nicht gleich übertreiben.) Und dass ich einst im Evakostüm einen Drink an der Poolbar bestelle, sehe ich auch nicht kommen. Die Reparatur des „Textilwellness-Bereiches“ wird ja hoffentlich nicht ewig dauern.

PS Ich weiß nicht mehr genau, wie mein Mann darauf kam, ich glaube, wir hatten uns über ein befreundetes Paar unterhalten, das sich kürzlich hatte scheiden lassen. Jedenfalls saßen wir Seite an Seite im Dampfbad, umhüllt von Dampf und Sirenengesängen, und plötzlich sagte er: „Ich bin froh, dass wir immer noch zusammen sind.“

7 Kommentare zu „Zum ersten Mal: Nackt in der Sauna“

  1. Liebe Sophie,

    nur eine Kleinigkeit in aller Kürze: Ich liebe einfach alles an diesem Beitrag und habe jetzt ganz viele Herzchen in meinem Herzchen, von denen ich wiederum ganz viele abgeben kann ❤️.

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    1. Liebe Anja, vielen Dank für deinen herzigen Kommentar. 🥰 Der führt wiederum dazu, dass ich jetzt auch ganz viele Herzchen in meinem Herzchen habe. Ist das nicht schön, wenn sich Herzchen derart vermehren?
      Ganz herzliche Grüße, Sophie

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  2. Danke für diesen tollen Beitrag!! Er ist nicht nur sehr witzig, sondern beleuchtet auch auf sehr gekonnte Weise das Thema Beziehungen.
    Das ist wahre Liebe – wenn man trotz Bedenken die Hüllen fallen lässt, damit der Partner zu seiner Sauna kommt!

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  3. Bald 18 Jahre Ehe … ihr habt auch 2006 geheiratet? Ein guter Jahrgang! 😍
    Ich bin in Italien, zu meinem Glück, in ein textilfreundliches Land gezogen, FKK ist hier verpönt. Irgendwann, noch ohne Kinder, waren wir in einem Hotel mit Wellnessbereich, ich glaube es war in Österreich. Dort nutzen wir auch die Sauna, wie andere Gäste aus Italien in Badebekleidung, wofür uns die Deutschen und wohl auch Österreicher mit strafenden Blicken tadelten. Offizielle Regeln gab es dort nicht.
    Ein schönes Gleichnis für eine gelungene Ehe, das du da benutzt. Die kleinen Schritte, die man immer wieder aufeinander zugeht.
    Danke für diesen amüsanten und anregenden Text, dessen Botschaft sich auf viele andere Lebensbereiche anwenden lässt, in denen man Textilien trägt.😊

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    1. Liebe Anke, du hast immer wieder so warme und wohlmeinende Worte für mich und meine Texte übrig. Das macht mich sehr froh und bedeutet mir sehr viel. 🥰

      Ich könnte auch sehr gut damit leben, wenn FKK in Deutschland verpönt wäre. Aber hier gibt es wohl eine besondere Tradition, mit der ich erfreulicherweise nicht so oft in Berührung komme. Manchmal aber schon: Wir haben ein kleines Grundstück außerhalb von Berlin gepachtet und der in der Nähe gelegene See lädt in Teilen eigentlich auch offiziell zum Nacktbaden ein. Wir machen da nicht mit, aber einer unserer dortigen Nachbarn. Du hättest mal die großen Augen unserer Kinder sehen sollen, als wir vor einigen Jahren zeitgleich im See schwammen! 😉😂
      Auch auf dem Darß, wo wir gerade Urlaub machen, gibt es einige ausgewiesene FKK-Strände. Da freut man sich geradezu über den wolkenverhangenen Himmel. 😉

      Herzliche Grüße, Sophie

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