Immer noch: Ein kleines Kind haben

oder: Das Beste im Leben: Mutter sein

Am Montagmorgen machte sich Baby Boss wie üblich für die Schule fertig. Sie stand angezogen im Flur und hängte sich dann ganz selbstverständlich einen Brustbeutel um den Hals. Er ist pink und hat ein Blümchenmuster und Baby Boss steckte ein paar Münzen hinein, weil sie sich noch etwas beim Bäcker kaufen wollte. Der Umstand, dass sie immer noch einen Brustbeutel trägt, dass sie das nicht unmodisch oder uncool findet, die Selbstverständlichkeit dieser Geste führte dazu, dass mich ein etwa grundschulkindgroßes Gefühl der Liebe für meine jüngste Tochter überkam. Mein Herz wurde erst ganz warm, dann lief es über wie der Topf in der Geschichte vom süßen Brei.

Mir kam es so vor, als ob jede Anstrengung der letzten Jahre durch diese eine Geste aufgehoben worden wäre. Dass allein dieser Moment, in dem ich neben einem – meinem! – Kind stehen durfte, das sich seinen Brustbeutel umhängte, alles heilen könnte, was vielleicht gerade nicht so optimal läuft. (Was war das doch gleich?) Vielleicht werde ich ein wenig pathetisch, aber manchmal durchfluten mich solche Gefühle nun mal.

Ich merke, dass es mich froh macht, dass eines meiner Kinder noch vergleichsweise klein ist und kindlich-herzige Dinge tut. Dinge, die mich rühren. Dinge, die ich niedlich finde. Die allein schon deshalb rührend und niedlich sind, weil sie ein Kind tut. Dinge, die bei Teenagern vielleicht nicht mehr ganz so niedlich sind und bei Erwachsenen erst recht nicht.

Natürlich weiß ich, dass die Gefahr besteht, dass man sein jüngstes Kind immer in dieser Nesthäkchenrolle sehen will, dass man es im Vergleich zu den größeren Geschwistern immer als klein empfindet, dass man es vielleicht sogar zurückhält und nicht angemessen älter werden lässt. Aber ich war es nicht, die ihr den Brustbeutel umgehängt hat. Ich habe ihn noch nicht einmal bereitgelegt. Ich schwöre.

Manchmal schaue ich aus dem Fenster, um zu beobachten, wie Baby Boss zur Schule oder zum Turnen rollert oder von der Schule zurückkommt. Ich sehe sie nur wenige Sekunden lang, sie ist schnell unterwegs, auf dem Roller, mit wehendem Haar. Aber diese wenigen Sekunden können durchaus zu den schönsten meines Tages gehören. Life is beautiful. Es sind die einfachen Dinge, die zählen und ein Leben lebenswert machen. Mein Leben lebenswert machen. Wehendes Haar, Brustbeutel in Pink.

Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder witzige Dinge aufgeschrieben, die meine Töchter gesagt haben. Neulich bin ich zufällig über eine solche Notiz gestolpert. Meine mittlere Tochter Supergirl hatte im Alter von fünf Jahren gefragt: „Wenn der Weihnachtsmann gestorben ist, bekommen die Kinder dann noch Geschenke?“

Ich weiß: Wenn dieses Kindliche abfällt, wenn auch Baby Boss zum Teenager wird, bleibt genug bestehen, das mich rührt oder mir das Herz zum Überlaufen bringt. Es kommt sogar einiges dazu. Altes wird von Neuem abgelöst. Aber einiges wird unwiederbringlich verloren gehen. Kleine Hände, kleine Füße zum Beispiel. Ich weiß auch nicht, wieso ich ausgerechnet darauf komme. Vielleicht, weil ich neulich ein Foto von Baby Boss‘ Kleinkindfüßen gesehen habe – paniert mit Sand. Zum Anbeißen.

Natürlich muss für mich niemand klein bleiben, um liebgehabt zu werden. Mal ganz unabhängig davon, dass das nicht geht, möchte ich es auch nicht. Der Reiz am Kinderhaben besteht ja ein Stück weit darin, deren Entwicklung zu beobachten, sich daran zu erfreuen. Anfangs ist jeder Fingerzeig ein Meilenstein, jedes Wort wird notiert, jedes Zähnchen, das wächst, wird festgehalten. Diejenigen, die ausfallen, erst recht. Jetzt dokumentiere ich höchstens noch den Abrieb meiner Zähne, der mutmaßlich beim nächtlichen Knirschen entsteht.

Neulich lag ich im Wohnzimmer auf meiner Yogamatte in der Schlussentspannung Shavasana. Es hätte ein Moment der Stille und Einkehr werden können. Ein Moment ganz für mich. Die totale Entspannung. Wenn sich nicht auch Baby Boss im Wohnzimmer befunden hätte. Sie spielte mit Playmobil und kramte in einer Plastikkiste und es entstand dieses Klackern, das nur entsteht, wenn Playmobil-Figuren gegeneinanderstoßen. Es hätte mich stören können. Aber so war es nicht. Ich lauschte nicht meinem Atem, sondern dem Klackern. Und freute mich, dass es in unserer Familie noch jemanden gibt, der ab und zu mit Playmobil spielt. Belle und Supergirl tun das schon lange nicht mehr.

6 Kommentare zu „Immer noch: Ein kleines Kind haben“

  1. Vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Ich glaube übrigens, dass jeder, der ein Kind hat, sich über die Momente freut, in denen er an die Zeit erinnert wird, als das Kind noch klein und knuffig war… in solchen Momenten darf dann auch ruhig ein bisschen Wehmut mitschwingen – solange man nicht anfängt, mit den Zähnen zu knirschen 😉

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  2. Auch ich habe die Tage gerade Fotos angeschaut, die meine Kinder im Kindesalter zeigen. Auch mich hat da diese Herzenssensation ergriffen! Vor kurzem verbrachte ich zwei Nächte mit meinen Eltern in einer Ferienwohnung. Und an beiden Morgen erfreuten sie sich an meinem zerstrubeltem Haar. Das mag sie wohl an die Zeit erinnert haben, als ich noch „klein“ war. Die Eltern bleiben immer Eltern und die Kinder immer Kinder, selbst wenn die Kinder selbst schon Eltern sind.

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  3. Die kleinen Füßchen, genau. Die hatten es mir auch angetan. Ich sah sie jeden Morgen aus der Bettdecke hervorlugen, wenn ich die, die im Etagenbett oben schlief, wecken kam. Ich musste sie kitzeln, aber das mochte das Kind, dem die Füßchen gehörten, leider gar nicht.
    Was für ein schönes Bild du da beschrieben hast, die wehenden Haare und der pinke Beutel. 😍
    Einen Brustbeutel kennt man hier in Italien nicht, dabei ist der so praktisch, gerade beim Rollerfahren. Wir sollten mal Brustbeutel zur neuen Mode erklären (gehäkelt vielleicht?), dann ist Baby Boss schon mal die Obercoole. 😎

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