Immer wieder: Der herabschauende Hund

oder: 150 Tage Yoga (am Stück!)

Am Freitagmorgen liege ich regelmäßig flach auf dem Rücken auf dem Parkettboden eines Fitnessstudios, umgeben von Frauen und Männern, von denen die meisten über sechzig sind, manche vielleicht sogar über siebzig. Ich liege auf meiner olivgrünen Yoga-Matte und hoffe jedes Mal wieder, dass die Schlussentspannung heute ein bisschen länger dauern möge, ich wünsche mir, ewig auf diese Weise dazuliegen, die Beine mattenweit geöffnet, die Arme ein wenig abgespreizt, der Rücken fest auf der Unterlage. Mein Körper wird ganz schwer und verbindet sich scheinbar mit dem Boden, während mein Geist langsam wegdriftet.

Mir gelingt es nicht, an nichts zu denken, ich weiß nicht, ob das die hohe Kunst wäre, ob ich das soll: an nichts denken. Ich weiß nicht, ob man beim Yoga überhaupt irgendetwas „soll“, deshalb denke ich, dass es nicht so schlimm ist, dass ich nicht an nichts denke, sondern die Gedanken scheinbar wahllos an mir vorbeiziehen. Am vergangenen Freitag kam mir immer wieder der englische Schauspieler Nicholas Galitzine in den Sinn, es gibt Schlimmeres.

Die Schlussentspannung Shavasana ist der Endpunkt meines Rücken-Yoga-Kurses, den ich freitags gern besuche. Die anderen Kursteilnehmer und ich liegen aber nicht die ganze Zeit am Boden. Im Gegenteil. Die Übungen (ich nenne es jetzt einfach mal so) sind teilweise so anstrengend, dass meine Muskeln zittern. Und ich frage mich mit Blick auf die Frauen und Männer um mich herum – viele von ihnen könnten meine Eltern sein – wie sie das eigentlich schaffen. Ich kenne meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht näher, aber sie sind mir durchweg sympathisch, manche finde ich irgendwie rührend (vielleicht, weil sie mich an meine Eltern erinnern), andere bewundere ich und ich wünsche mir heimlich, in ihrem Alter auch so sportlich und fit zu sein. Ich empfinde uns als eingeschworene Truppe, man grüßt sich, lächelt sich an, auch wenn die Zusammensetzung manchmal schwankt. Auch ich schaffe es nicht immer, am Freitagmorgen im Fitnessstudio zu erscheinen. Aber das ist nicht schlimm, denn ich praktiziere Yoga auch zuhause.

Am ersten Januar dieses Jahres habe ich mit Mady Morrisons Yoga-Challenge begonnen. Auf ihrem Blog* gibt es diese Monatspläne zum Herunterladen, für jeden Tag ist ein Video verlinkt. Ich wollte es diesmal schaffen. Und da Mady auch für alle weiteren Monate Pläne zusammenstellt, bin ich einfach hängengeblieben.

Als ich vorhin von meiner Yoga-Matte aufgestanden bin, waren es 150 Tage Yoga am Stück. Das heutige Video hieß „Bali Morgen Routine“, ich habe die Sequenz allerdings erst am Nachmittag gemacht. Aber ich glaube, das ist okay, wie so vieles beim Yoga okay ist. Jeder bleibt auf seiner Matte, es gibt keine Vergleiche, keine Strenge. Also zumindest nicht bei Mady Morrison. Auch wenn sich das jetzt vielleicht schräg anhört: Für ihre Existenz und die Art und Weise, wie sie Yoga in die Welt trägt, bin ich dankbar. Was hatte ich nur für ein unverschämtes Sonntagskind-Glück, diese Yoga-Live-Session mit ihr zu gewinnen? Das war der Startschuss für meine eigene Yoga-Praxis. Der Moment, der alles untermauert hat. (Der Moment der Erleuchtung?)

Jetzt muss ich kurz noch etwas zu mir erklären: Ich bin jemand, der erstens gern (unschädliche) Selbstversuche unternimmt und zweitens an die Macht der Routine glaubt. Ich hatte plötzlich die Idee, dass es doch total spannend wäre herauszufinden, ob eine tägliche Yoga-Praxis Körper (und Geist?) verändert.

Seit Anfang des Jahres habe ich deshalb Yoga an all den vielen guten und sehr guten Tagen gemacht und auch an den weniger guten. Ich habe Yoga gemacht, wenn ich glücklich war und wenn ich traurig war. Ich habe die Matte ausgerollt, wenn ich Lust auf Yoga hatte und auch, wenn ich keine Lust hatte. An Tagen, an denen ich vormittags auf einer Beerdigung war und nachmittags mit einer meiner Töchter beim Kieferorthopäden. Am Tag, als unsere Waschmaschine kurz vor unserem Urlaub in Prerow kaputt ging, an dem Fuchsi zu uns zurückgekehrt ist und ich nackt in der Sauna saß. Ich habe Yoga an Tagen gemacht, an denen ich Chips gegessen, an der Tür gelauscht oder über die Macrons geplaudert habe. Und in unseren Urlauben! Ich habe mir sogar extra eine Yoga-Reisematte gekauft, die mir gute Dienste erwiesen hat. Manchmal war es mehr als eine Stunde, manchmal waren es nur fünf Minuten. Aber immer – IMMER! – hat mir Yoga gutgetan.

Manchmal lag ich in der Schlussentspannung bei uns im Wohnzimmer und Baby Boss streckte sich neben mir aus und nahm wortlos meine Hand. Einmal deckte sie mich zur Schlussentspannung zu, weil auch Mady sich zugedeckt hatte. Manchmal knirschte und knackte es in meinem Körper, manchmal war er biegsam und geschmeidig.

Und was hat es gebracht? Muskeln? Gelenkigkeit? Selbstliebe? Seelenfrieden? Von allem ein bisschen würde ich sagen und ziehe erst den einen und dann den anderen Mundwinkel nach oben, so wie Mady Morrison es einem am Ende mancher Sequenz vorschlägt.

Früher konnte ich nicht mit geschlossenen Augen aufrecht stehen. Dieses leichte Schwanken war mir unangenehm. Jetzt kann ich es. Wenn ich auf dem Boden sitzend meine Beine vollständig nebeneinander ausstrecke, so dass sie sich berühren, kann ich mich an guten Tagen nach vorn lehnen und mit meiner Stirn meine Schienbeine berühren.

Ich fühle mich stark beim Yoga und – eher unerwartet – ich fühle mich schön. Strahlend. Und jetzt will ich wissen, was nach 300 Tagen passiert.

*Sofern das jemand als Werbung empfindet, ist diese jedenfalls unbezahlt und unverlangt.

5 Kommentare zu „Immer wieder: Der herabschauende Hund“

    1. Ich werde berichten! Für den Monat Juni hat Mady Morrison viele kürzere Einheiten ins Programm genommen. Das kommt mir sehr entgegen. Ich versuche nämlich schon, die Videos zu machen, die sie verlinkt. Das schaffe ich leider nicht immer, manchmal muss ich Tage tauschen oder kürzere Einheiten mache. Aber: Ich lasse mich zumindest immer von ihren Yoga-Plänen inspirieren und bin dankbar, dass sie alles mit so viel Enthusiasmus und Akribie zusammenstellt. Machst du Yoga?

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  1. Liebe Sophie,

    Da ich zum Thema Yoga weder über Erfahrungen noch über die nötigen Kenntnisse verfüge, aber vom Blog wie immer begeistert bin, möchte ich heute mal ein paar Worte zu den Bildern schreiben, die deine Beiträge so trefflich begleiten.

    Die Fotos sind jeweils gute „Aufmacher“ für die Inhalte, die den geschriebenen Text unterstützen. Danke für die liebevolle Begleitung der Themen.

    Besonders gut hat mir der „Herabschauende Hund“ gefallen. Ich war sofort schockverliebt und habe dann den Blog um so mehr und aus einem anderen „Blickwinkel“ gelesen. Es grüßt, wie immer gut unterhalten Der „Follower“

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    1. Lieber Follower, dass du das Wort „schockverliebt“ verwendet hast und noch dazu im Zusammenhang mit dem fotogenen Dalmatiner, freut mich wirklich sehr. Das Wort gehört zu meinen liebsten. Und die Fotografie gehört zu meinen liebsten Hobbys und kommt wohl ziemlich direkt nach dem Schreiben.
      Den Hund habe ich schon lange in meinem Blog-Foto-Ordner. Er hat auf seinen großen Auftritt geradezu gewartet und freut sich, dass er bei dir so gut angekommen ist.
      Herzliche Grüße, Sophie

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