oder: Schrei vor Glück!
Meine Mutter erzählt immer wieder gern die Geschichte, wie ich als Kind auf dem Rummel den Hauptgewinn an einer Würfelbude gewonnen habe: zwei geräucherte Aale. Ich bilde mir ein, dass ich mich dunkel an diese Begebenheit erinnern kann. Ich habe die Bude vor Augen, die Würfel, den roten Filz, auf den sie fallen. Oder war er grün? Oder war es Holz? Vielleicht habe ich die Geschichte einfach schon so oft gehört, dass ich nur meine, das alles noch vor mir zu sehen: das kleine Mädchen im einstelligen Grundschulalter, das an den ersten Stand des Jahrmarkts tritt und direkt drei Sechsen würfelt. Und das gleich zweimal. Es folgt dieser kurze Moment des Nicht-Fassen-Könnens, bevor das Glücksgefühl prickelnd durch den Körper rauscht. Die anderen beginnen zu jubeln: die Eltern, der Bruder. Einer macht ein bedröppeltes Gesicht: der Standinhaber. Das kleine Kind merkt, dass ihm etwas Großartiges widerfahren ist: Es hatte Glück!
Ich glaube nicht, dass ich mich über den Gewinn als solchen gefreut habe, denn damals habe ich keinen Räucherfisch gegessen. Aber ich weiß, dass mich das Gewinnen total begeistert hat. Begeistert und erstaunt. Glück zu haben, ist etwas, das sich jeder wünscht, womit aber niemand rechnet.
Meine Eltern haben die Episode mit dem Räucherfisch auf den Umstand zurückgeführt, dass ich ein Sonntagskind bin. Die sollen vom Glück besonders begünstigt sein. Bei mir trifft das zu. Ich glaube, dass ich schon mein ganzes Leben auf dieses sonntagskindliche Glück hoffe, still und leise. Und ich bin noch nie enttäuscht worden. Aber ich vertraue nicht darauf. Ich möchte das Glück nicht unter Druck setzen, nicht herausfordern. Nicht zu viel erwarten. Stattdessen neige ich manchmal zu Katastrophendenken und habe gelernt, mich mithilfe von Worst-Case-Szenarien auf den Ernstfall vorzubereiten. Was auch immer das bedeutet. Er ist noch nie eingetreten.
Neulich habe ich an einem Gewinnspiel teilgenommen. Ich weiß nicht, ob ich das je zuvor getan habe. Wenn überhaupt, dann ist es zwanzig Jahre her. Oder länger. In den letzten Jahrzehnten habe ich nicht weiter über die Existenz von Gewinnspielen nachgedacht, sie sind mir einfach nicht untergekommen. Das änderte sich schlagartig in unseren Skiferien im Allgäu, als ich durch die Zeitschrift Women’s Health blätterte. Die hatte ich mir an der Autobahnraststätte gekauft, meine Lieblings-Yoga-YouTuberin Mady Morrison war auf dem Cover abgebildet und im Heft gab es eine größere Strecke mit ihr. Plötzlich stand da etwas von Gewinnspiel und exklusiver Yoga-Session als Preis. Und ich merkte sofort, dass ich wirklich gern dabei sein wollte. Wirklich gern!!! Also machte ich mit.
Am Mittwoch rief ich meine E-Mails ab. Oft schaue ich gar nicht auf den Absender, sondern gleich auf den Text. „Vielen Dank für deine Teilnahme an unserem Gewinnspiel“ stand da als erster Satz. Viel wichtiger war der zweite, der mit den Worten „Good News“ begann und mir eröffnete, dass ich zu den glücklichen „Gewinner*innen“ gehören würde. ICH! ZU DEN GEWINNER*INNEN! Es folgte dieser kurze Moment des Nicht-Fassen-Könnens, bevor das Glückgefühl prickelnd durch meinen Körper rauschte. Ich schrie vor Glück und vor Erstaunen. Lief mit viel Dopamin und anderen Glückshormonen im Blut durch die Wohnung und rief meinen Mann, meine Eltern und Belle an, die bei einer Freundin für die Schule lernte. Baby Boss und Supergirl waren noch nicht zuhause. Ich schickte Sprach- und Textnachrichten an mehrere Freundinnen.
Ich überlegte, ob ich eine Woche Urlaub beantragen sollte, um jeden Tag Yoga zu üben. Ich dachte darüber nach, was ich anziehen könnte. Die Jogginghose aus der Mady-Morrison-Kollektion? Eigentlich klar, oder? In der E-Mail hatte gestanden, dass es zweckmäßig sei, schon in Yoga-Kleidung zum Studio zu kommen. Ich fragte mich, ob ich in Jogginghosen U-Bahn fahren könnte. Ich dachte an Belle und Karl Lagerfelds Worte zu diesem Thema. Ich fragte mich, ob ich etwas Körperbetontes (meine neuen Leoprint-Leggings) anziehen sollte, falls die Presse da wäre. Oder vielleicht gerade deshalb lieber nicht? Ich dachte daran, wie lange ich an meinem Outfit für die 80er-Jahre-Party gefeilt hatte. Ich fragte mich, ob ich für das Event meine Nägel lackieren sollte. Ich lachte immer wieder laut auf, wenn ich an mein Losglück dachte. Ich hatte nicht damit gerechnet.
Im November 1998 habe ich mich in einen Mann verliebt, mit dem ich noch immer zusammen bin, seit mehr als 16 Jahren sind wir verheiratet. Ich hatte nicht damit gerechnet. Wir haben drei Töchter, klug, gutherzig und wunderschön. Sie bereichern mein Leben jeden einzelnen Tag – selbst, wenn sie streiten oder Joghurtdeckel in der Wohnung liegen lassen. Ich hatte nicht damit gerechnet. Meine Eltern bejubeln nicht nur mein sonntagskindliches Glück, sondern jeden meiner Erfolge, eigentlich mein ganzes Leben. Bei Misserfolgen trösten sie mich. Ich hatte nicht damit gerechnet. Meine Freundinnen stehen mir immer zur Seite, die meisten schon seit Jahrzehnten. Ich hatte nicht damit gerechnet.
Ich bin ein Sonntagskind. Ich habe Glück. Das Outfit spielt keine Rolle.
Wieder ein sehr schöner Beitrag, in dem ich mich absolut wiederfinde. Ich bin zwar ein Donnerstagskind, habe aber oft das Gefühl, dass der Donnerstag gleich nach dem Sonntag kommt. Vor etwa 25 Jahren habe ich bei einem Radiogewinnspiel ein Treffen mit den Backstreet Boys gewonnen. Ich erinnere mich daran, mich damals genauso gefühlt zu haben wie du, als du die Mail geöffnet hast😂
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Für meinen Blogbeitrag habe ich ein bisschen über das Glück der Sonntagskinder nachgelesen. Bei den Germanen waren die Glückskinder diejenigen, die an einem Donnerstag geboren wurden. Passt also!
Witzig, das mit den Backstreet Boys! Wie war denn das Treffen? Ich habe übrigens heute, während ich den Blogbeitrag geschrieben habe, die ganze Zeit die New Kids on the Block gehört. Ein großer Zufall, das habe ich jahrzehntelang nicht getan.
Liebe Grüße!
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Das Treffen war aus damaliger Sicht natürlich toll, wenn auch relativ kurz😉. Das mit dem Donnerstag ist wirklich lustig. Liebe Grüße
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Wer zwei Mal hintereinander drei Sechsen würfelt, der sollte durchaus auch damit rechnen, eine Yoga-Stunde mit Mady zu gewinnen, finde ich 😉
Viel Spaß und berichte, wie es war!
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Das werde ich bestimmt tun. Dann ist es eine richtige Yoga-Trilogie hier auf dem Blog.
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Ich sitze auf dem Sofa und mache es mir in meiner schwarzen, warmen Jogginghose bequem.
Ich habe gerade deinen Blog gelesen und gedacht: so ein Glück.
Nach deinem ersten Beitrag zum Thema „Yoga“ hatte ich mal bei Mady Morrison nachgesehen und gedacht: vor 30 Jahren hätte ich mich „schockverliebt“ und sofort Yoga gelernt.
Ich bin aber ein „Mittwochskind“ und habe wohl den richtigen Zeitpunkt in der Glückslotterie für Yogakurse verpasst.
Aber alles andere, das du als Glücksfall beschreibst, kenne ich auch.
Deshalb: „Carpe Diem“ und teile dein Glück mit denen, die dir wichtig sind!!!
Es grüßt ganz herzlich und gut unterhalten
Der Follower
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Lieber Follower,
ich habe mich sehr gefreut, hier mal wieder von dir zu lesen. Ich dachte schon, du seiest mir entfolgt. 😉
Schön, wie du dich auf die wichtigsten Aussagen und Fragen meiner beiden Yoga-Texte beziehst. Ein bisschen fühle ich mich an eine Rede erinnert, die ich vor langer Zeit gehört habe und in der der Redner viele Begriffe aus dem Spiel Doppelkopf aufgegriffen hat.
Glück ist es jedenfalls auch, so wohlüberlegte Kommentare unter den eigenen Blogbeiträgen zu finden. Danke dafür!
Herzliche Grüße, Sophie
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