oder: Hauptsache Ed!
An Zeugnistagen hole ich meine Töchter seit jeher von der Schule ab, sobald der Unterricht endet. Zuerst war es nur Belle, dann waren es Belle und Supergirl. Dann Supergirl und Baby Boss. Belle kam vom Gymnasium zur Grundschule ihrer Schwestern herüber. Seit geraumer Zeit treffen wir uns alle dort und warten gemeinsam auf Baby Boss.
Zeugnistage bedeuten mir etwas. Ich möchte diese Momente mit meinen Töchtern teilen. Besonders wichtig ist es mir, wenn ein Schuljahr und damit manchmal sogar ein ganzer Lebensabschnitt zu Ende geht.
Im Sommer des vergangenen Jahres war ich beim Abholen von der Schule allerdings ausnahmsweise nicht ganz bei der Sache. Denn um Punkt 11 Uhr musste ich mich bei einem großen Online-Ticketverkäufer einwählen, um als eine der Ersten Zugriff auf das Kartenkontingent von Taylor Swift zu bekommen. Mit einem Auge linste ich zum Schultor, mit dem anderen auf mein Handydisplay, wo sich eine kleine Figur – das war ich – im virtuellen Warteraum nur mühsam fortbewegte. Alle paar Minuten schob sie sich voran, wirkliche Fortschritte machte sie dabei nicht.
Als Baby Boss vor die Schule trat, tat ich so, als hätte ich nur Augen für sie und ihr Zeugnis, aber gleichzeitig schielte ich auf das Figürchen, das sich kaum mehr bewegte, fast völlig erlahmt war auf dem Weg zu virtuellen Ticketstand. Ich ließ das frustrierende Fenster etwa eine Stunde lang geöffnet, hoffte wider besseres Wissen auf den „lucky punch“. Aber mir war klar: Solche Konzertkarten sind innerhalb von Sekunden ausverkauft, zumindest die erschwinglichen. Was übrigbleibt, sind VIP-Tickets für mehrere hundert Euro. Plus Zugfahrt nach Hamburg oder Gelsenkirchen plus Unterkunft plus Essen vor Ort. Ein teures Vergnügen.
Die Karten, die ich nicht bekam, sollten nicht für mich sein, sondern für Belle. Sie hatte es sich sehr gewünscht, zum Konzert zu gehen. Ich hätte fast alles dafür gegeben, welche für sie zu ergattern.
Etwa ein Jahr später spielte sich eine ähnliche Szene ab wie damals vor der Schule. Diesmal saß ich am Rechner zuhause, es war kurz vor 9 Uhr und ich hoffte wieder wider besseres Wissen. Damit ich den Termin nicht vergesse, hatte ich mir extra einen Zettel geschrieben, auf dem stand: „Mittwoch, 10. Juli, ab 9 Uhr Ed!“ Dreimal sollte Ed Sheeran in Deutschland spielen: in Hamburg, in Stuttgart und in Düsseldorf (ich weiß gar nicht genau, wo das liegt). Und ich wollte unbedingt dabei sein!
Während des absolut wahnsinnigen Runs auf die Karten ploppten noch weitere Konzerte im Verkauf auf: Zusatzshows in den drei erwähnten Städten. Wenn man Ed Sheeran wirklich sehen möchte, dann darf man nicht wählerisch sein. Zuerst hatte ich Tickets für Düsseldorf im Warenkorb, Hamburg schien sofort ausverkauft zu sein. Später konnte ich allerdings doch noch auf Hamburg umschwenken und bekam zwei der begehrten Karten für rund 100 Euro pro Stück für Freitag, den 4. Juli 2025, für meinen Mann und mich. Mein rennendes Figürchen im digitalen Warteraum hatte alles gegeben.
Seither freue ich mich wie eine Schneekönigin auf dieses Event. Wer Ed schon einmal live gesehen hat, so wie ich im September 2022 in München, wird das bestimmt verstehen. Vor dem Konzert fand ich ihn großartig, nach dem Konzert blieb ich schockverliebt zurück.
Nachdem ich eine Weile einfach nur wahnsinnig glücklich über den Ticketkauf und voller seliger Vorfreude war, stieg plötzlich eine leise Sorge in mir auf: Was wäre, wenn ich am 4. Juli 2025 plötzlich gar keine Zeit mehr haben würde, um Ed Sheeran in Hamburg zu sehen? Was wäre, wenn mir irgendetwas dazwischenkommt? Die Sorge war ausnahmsweise mal nicht aus der Luft gegriffen, wie rund 87 Prozent meiner anderen Ängste. Sie hatte damit zu tun, dass mein Lieblings-Swiftie nächstes Jahr Abi macht und plötzlich der Begriff „Abi-Ball“ die Runde machte. Ja, mir wurde recht schnell klar, dass dieser Abi-Ball durchaus am 4. Juli des nächsten Jahres stattfinden könnte. Ein Event, das man ebenso wenig verpassen möchte wie ein Ed-Sheeran-Konzert.
Seither versuchte ich regelmäßig, aus Belle Informationen wegen eines möglichen Datums herauszuquetschen. Allein, sie wusste es nicht.
Vergangene Woche kam sie aus der Schule nach Hause und fragte: „Wann ist das Ed-Sheeran-Konzert nochmal?“ Ich stand gerade in der Küche und bekam ganz weiche Knie. „Am 4. Juli“, sagte ich. Belle schaute betroffen. Mir wich die Farbe aus dem Gesicht. Belle sagte: „An dem Tag ist die Abiverleihung. Abends um 18 Uhr.“ Innerlich stieß ich einen markerschütternden Schrei aus, warf mich auf den Boden und heulte mir die Augen aus dem Kopf. Nach außen sagte ich etwas wie: „So ein Mist.“ (Kann auch das Wort gewesen sein, dass mit „Sch“ beginnt.)
Selbst mir gelingt es nicht, an zwei Orten zur gleichen Zeit zu sein. Und deshalb war sehr schnell klar: Am 4. Juli 2025 wäre ich nicht bei Ed in Hamburg, sondern bei Belle in Berlin. Zeugnistag!
Ich mache es an dieser Stelle mal kurz: Nach einem Nervenzusammenbruch setzte ich mich an den Rechner und recherchierte nach anderen möglichen Terminen, Ed Sheeran singen zu hören. Größere Kontingente gab es erstaunlicherweise noch für ein Konzert in Stuttgart Ende Juni und für eines in Düsseldorf Anfang September. Das waren wahrscheinlich die Shows, die zuletzt in den Verkauf gekommen waren. Ansonsten gab es in den Stadien nur noch wenige verstreute Einzeltickets.
Mein Mann wollte eigentlich weder nach Düsseldorf noch nach Stuttgart fahren mit der Begründung, dass beides zu weit entfernt wäre. Damit hat er ja nicht ganz unrecht, aber ich wäre sogar nach Oslo oder Marseille geflogen. Da kenne ich nichts. Schließlich ging es um Mister Ed Sheeran. Er kommt sogar in einem meiner Kinderbücher vor.
Der Termin in Stuttgart könnte mit dem Abi-Ball kollidieren, der notfalls noch vor der Abi-Verleihung stattfinden würde. Heikel, äußerst heikel noch mal auf gut Glück personalisierte, digitale Tickets zu bestellen, die sich übrigens erst ab Februar des nächsten Jahres über eine vorgegebene Plattform verkaufen lassen würden. Und Düsseldorf? Das Konzert, für das es noch viele Karten gibt, würde am letzten Sonntag in den Sommerferien stattfinden. Und je nachdem, auf welchem Gymnasium Baby Boss im nächsten Jahr landen würde, könnte es sein, dass ihre Einschulung auf Montag terminiert wäre. Mein Mann und ich am Sonntagabend noch in Düsseldorf und am Montagmorgen schon wieder in Berlin? Nicht möglich.
Ich mache es jetzt mal wieder kurz, obwohl mich dieses Luxusproblem eine ganze Weile beschäftigt und mir einige Nerven geraubt hat: Anfang der Woche haben wir Tickets für den Freitagabend in Düsseldorf gekauft. Es ist eines dieser Konzerte mit wenigen Restkarten. Mein Mann und ich haben Plätze in einer Reihe, aber nicht nebeneinander. Drei Personen sitzen zwischen uns, vielleicht lassen sie sich zum Tausch überreden.
Mein Mann sagte: „Ich mache das nur für dich.“
Bestimmt weiß er gar nicht, dass ich bei Ed-Sheeran-Liedern wie „Collide“ an ihn denke: „Because the worlds looks better when I’m by your side … You brought me to the morning through my darkest night”. Ich sage es ihm am 5. September 2025 in Düsseldorf. Zur Not als „stille Post“ über die drei Personen, die zwischen uns sitzen.
Irre, wie lange im Voraus man solche Karten holen muss, und welche Nerven es dazu braucht. Ich bin mir sicher, dass sie euch beide zusammensitzen lassen, und falls nicht, zwinkert ihr euch zwischendurch zu und spielt das Kennenlernen noch mal nach. Wäre das nicht aufregend, erst recht zu Eds Musik? 😍 Liebe Grüße!
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Liebe Anke, das ist eine ganz ausgezeichnete Idee! 🙂 Liebe Grüße zurück!
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Der Artikel bringt sehr gut und auch witzig rüber, dass echte Fans wirklich ALLES tun würden, um ihren Stars nahe zu sein. Gut, dass du doch noch einen Weg zu Ed gefunden hast, ohne dass deine Tochter allein ihr Abi-Zeugnis entgegen nehmen muss 😉
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Da sieht man einmal mehr, dass meine Töchter bei mir immer an erster Stelle stehen. Danach kommt Ed und dann mein Mann. 😉 (Oder war es andersherum?!)
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