Immer wieder: Stammgast sein

oder: Im Johnny‘s

Vor rund 20 Jahren waren meine Freundin Goldlöckchen und ich jedes Wochenende in einer Bar in Berlin-Mitte zu finden, die dem (ehemaligen?) Clubbetreiber Heinz „Cookie“ Gindullis gehörte: das Greenwich. Manchmal haben wir ihn dort sogar gesehen, kannten ihn aber im Gegensatz zu sämtlichen Barmännern (ich gendere hier mal nicht, weil es wirklich ausschließlich Männer waren) nicht persönlich. Ich weiß nicht mehr, wie lange unsere Greenwich-Phase dauerte, aber wahrscheinlich schon einige Jahre. Ich wollte jetzt schreiben, dass wir ja auch bestimmt eine Weile gebraucht haben, die Barmänner kennenzulernen, aber wenn ich es mir recht überlege, ging das ziemlich schnell. Wir waren damals Anfang zwanzig, die Angestellten in ihren Dreißigern. Beide Seiten schienen diesen „Age Gap“, wie man es heutzutage nennt, gut zu finden. Ich würde so weit gehen zu sagen: Die Barmänner noch mehr als wir.

Goldlöckchen schwärmte für einen hübschen Blonden, der noch diesseits der Dreißig war, ein paar Jahre älter als wir. Dass er dort arbeitete, war für uns Grund genug, ausschließlich im Greenwich trinken zu gehen. Aber es gab auch andere Gründe. Viele andere. Ich war damals schon mit meinem heutigen Mann zusammen und lief also eher an der kurzen Leine, was dem Spaß aber keinen Abbruch tat.

Goldlöckchen und ich studierten damals und jobbten wahrscheinlich beide (von mir weiß ich es), aber die Abende in der Bar hätten wir uns auch so leisten können, denn wir tranken zu einer Pauschale. Heute würde es Flatrate heißen. Es waren eigentlich jedes Mal nur 10 Euro. Egal, wie viel und was wir tranken.

Bekannt und beliebt war zum Beispiel der Cocktail „Watermelon Man“, nicht nur bei Goldlöckchen und mir. Ich trank auch gern die „Tigermilch“ mit flüssiger Sahne und wir beide Gin Tonic so wie andere Wasser. Aufs Haus gab es dann noch Shots von unseren Lieblingsbarmännern, die wir mit ihnen zusammen auf ex hinunterstürzten. Wenn man früh genug anfing, statt Gin wirklich Wasser zu trinken, konnte man am nächsten Nachmittag auch ohne Kater aufstehen. Und bis zum Nachmittag mussten wir schon schlafen, wenn wir bis in die frühen Morgenstunden im Greenwich blieben, das wir liebevoll „G“ nannten.

Wir waren so oft dort, dass wir schnell zu Stammgästen wurden, vielleicht ebenso beliebt waren wie der „Watermelon Man“. Der damalige Türsteher (ja, so etwas gab oder gibt es in Berlin auch in Bars) ist übrigens in der Serie Babylon Berlin und im Musikvideo „Auf uns“ von Andreas Bourani zu sehen (in der Waschsalon-Szene).

Heute trinke ich kaum mehr Alkohol, würde aber trotzdem gern mal wieder in eine Bar gehen. Das Greenwich gibt es schon lange nicht mehr, wie ich gerade gelesen habe seit 2006. Lag es daran, dass Goldlöckchen und ich nicht mehr kamen? Wohl kaum, denn für den richtig großen Umsatz haben wir mit unserer Pauschale nicht gerade gesorgt.

In den vergangenen fast 18 Jahren, seitdem meine größte Tochter Belle auf der Welt ist, konnte ich es mir jedenfalls nicht leisten, erst in den frühen Morgenstunden im Bett zu liegen. Durchwachte Nächte hatte ich aus anderen Gründen. Jetzt wäre ein Barbesuch nach altem Schema wahrscheinlich wieder möglich, aber ich würde ihn nicht mehr so gut wegstecken wie vor 20 Jahren.

Was damals das Greenwich für mich war, ist vielleicht auch deshalb heute mein Lieblingscafé in Friedenau. Ich kenne die meisten Baristas auch, nur sie mich nicht unbedingt. Der Age Gap fällt jetzt auch genau andersherum aus: Ich bin Anfang, hüstel, Mitte 40, die Baristas (Männer UND Frauen) sind fast alle (deutlich) jünger als ich. Nur einer fällt mir ein, der vielleicht sogar ein paar Jahre älter ist als ich und in der Küche arbeitet. So ist das wahrscheinlich: Eben war man noch jung und fresh und hat in Bars und Clubs abgehangen und zu einer Pauschale von 10 Euro pro Nacht getrunken und sich anflirten lassen. Und jetzt trinkt man zum Regelpreis (kleiner entkoffeinierter Caffè Latte zu 3,30 Euro) und wird auch nicht mehr angeflirtet (schade eigentlich). Die 3,30 Euro zahle ich gern, der Kaffee ist großartig, die Milch liegt samtig-weich auf der Oberfläche. Vielleicht muss ich trotzdem bald auf Hafermilch umsteigen, weil einer der (deutlich jüngeren) Baristas immer fragt: „Mit Kuhmilch?“ Und ich denke mir, dass ich eigentlich gar nicht so genau wissen will, woher die Milch kommt. Vielleicht hat er mich mit diesem Wort bald weichgekocht und ich werde Veganerin.

Ich mag es, dass immerhin der Inhaber weiß, was ich trinke, und „Wie immer?“ fragt, wenn ich vor ihm am Tresen auftauche. Und ich mag das Café insgesamt, vielleicht auch, weil es ein bisschen untypisch ist für Friedenau, ein bisschen cooler, als man es hier erwartet.

Es hat mich sogar zu meiner ersten Kurzgeschichte für Erwachsene inspiriert. Als ich sie Anfang November aufschrieb, wusste ich noch nicht, dass ich drei Monate später ein ganzes Buch mit mehr als 220 Seiten auf dem Rechner haben würde (und auf mehreren USB-Sticks, die ich aus Angst vor einem Datenverlust bespiele und an unterschiedlichen Stellen aufbewahre, zwei habe ich immer in meiner Handtasche dabei; es wird Zeit, dass sich ein Verlag meiner erbarmt, damit dieser zwanghafte Irrsinn ein Ende hat).

Im Buch heißt mein Lieblingscafé „Johnny’s“ und es kommt oft vor, nicht zuletzt, weil die männliche Hauptperson Niko dort als Barista arbeitet. Vielleicht, denke ich gerade, hätte ich damals über das Berliner Nachtleben Anfang der 2000er schreiben sollen, über Goldlöckchens und meine Zeit im „G“ und über Partynächte im „Cookies“. Kurzgeschichten vielleicht oder eine Liebesgeschichte. Dann wäre ich vielleicht schon dick im Geschäft und müsste meine USB-Stick-Sammlung nicht durch die Welt tragen. Hättste, wennste, könntste.

War halt schwer, Zeit fürs Schreiben zu finden, wenn man nach einer durchwachten Nacht am nächsten Tag bis zum Nachmittag schläft (und nebenbei auch noch Jura studiert).

PS Stammkundin bin ich übrigens auch bei der Dönerbude gegenüber, bei Nahkauf um die Ecke, der Bäckerei am Friedhof in der Stubenrauchstraße und der Buchhandlung Thaer. Ich zahle überall den Normalpreis.

10 Kommentare zu „Immer wieder: Stammgast sein“

  1. Danke für den Ausflug in die frühen 2000er! Ach ja, eine gute Bar ist was Feines und bestimmt lässt sich auch heutzutage eine finden, die Dir gefällt. 😉 Passend zur Berlinale vielleicht ein Drink im Hyatt? Oder lieber in einem Hinterhof in Mitte? Oder ganz weit oben im 25 hours? In Moabit gibt es wohl noch „Carl & Sophie“. Wenn Du nett fragst, machen sie aus Carl sicher auch Johnny oder Niko oder…

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    1. Das klingt doch gut: Carl (oder Johnny oder Niko) und Sophie. 😉 Jetzt brauche ich nur noch eine nette Begleitung für den Abend in der Bar (egal, welche). Wie wäre es mit dir, MissLazy? Mittlerweile gibt es wohl sogar alkoholfreien Gin für einen garantiert kater-freien nächsten Tag. 😉

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  2. Ich habe einen schlimmen Verdacht: Hat das Greenwich (Zitat Tagesspiegel: „Das einstige Mekka der Mitte-Szene“) deshalb zugemacht, weil allen gutaussehenden Besucherinnen die 10-Euro-Flatrate gewährt wurde und somit der Laden unmöglicht rentabel geführt werden konnte ?… 😉

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  3. Liebe Sophie, durch deinen Bericht habe ich mich an meine Zeit am Friedrich-Wilhelm-Platz erinnert: ich war auch oft in der Buchhandlung Thaer, habe gelegentlich Blumen am Friedhof Stubenrauchstraße gekauft, den Bäcker dort kenne ich aus dem Fernsehen und von Freundinnen. Ich bin damals in meiner Mittagspause und nach der Arbeit öfter durch Friedenau spaziert und später auch ab und zu. Das muss ich wiederholen

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  4. Flatrate-Saufen, hüstl, -Drinken, kenne ich persönlich nicht. Mich erinnert dein Artikel aber an die Boomzeit der Happy-Hour in Cocktailbars Anfang der 2000er, die ich während der ersten Arbeitsjahre in Leipzig gerne nutzte. Happy-Hour von 18 Uhr bis 20 Uhr, oft zwei Drinks zum Preis von einem, hatte den Vorteil, dass man eher anfing und auch rechtzeitig wieder zuhause war, um am nächsten Morgen fit für den Job zu sein. Das geht mit Familie natürlich auch eher gar nicht. 😉
    Heute bin ich auch Stammgast in einem Caffè/Gelateria, während die Tochter Musikstunde hat. Der nette Barista kennt meine Lieblingseissorte und ist untröstlich, wenn er sie nicht hat.
    Dann bin ich aber gespannt, liebe Sophie, ob wir bald etwas von deinem Roman hören, oder hier nochmal eine Kostprobe lesen dürfen?
    Liebe Grüße nach Friedenau! Anke

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    1. Liebe Anke, dass wir immer zum selben Preis getrunken haben, bedeutet übrigens nicht, dass wir uns haben volllaufen lassen. 😉 Es war also kein Flatrate-Saufen im heutigen Sinn. 😉 Das hätte ich wahrscheinlich auch schon damals nicht weggesteckt, auch wenn ich mit Anfang 20 deutlich mehr vertragen habe als jetzt. Heute bin ich ja fast schon nach einem Glas mit alkoholfreiem Sekt beschwipst.
      Was ist denn deine Lieblingseissorte? Bei mir gehört auf jeden Fall Schokolade dazu. Und Haselnuss.
      Herzliche Grüße aus Friedenau nach Italien!

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      1. Es ist in dieser Gelateria eine Kombination aus zwei besonderen Sorten: Modica Schokolade, eine dunkle, grobkörnige Schokolade aus Sizilien, und dazu eine halbgefrorene Meringata, also Baiser-Creme. Köstlich! Ich hoffe, sie haben beides bald wieder im Sortiment. Ansonsten trinke ich dort auch gerne eine ganz bestimmte Teemischung, die der Barista auch kennt. Genau wie du schreibst, ist es wunderbar, eine Stammkneipe, Bar oder Cafeteria zu haben, wo man so persönlich bedient wird.

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