Zum letzten Mal: Hässliches Entlein

oder: Flashback in die 90er

Hat jemand außer mir auch manchmal Flashbacks in die Teenager-Zeit? Fühlt sie oder er sich dann wie sein 16-jähriges Ich? Pickelig, pummelig oder pubertär? Manchmal denke ich, dass diese Jahre einen größeren Einfluss auf mein heutiges Leben haben, als sie eigentlich sollten. Als würde ein sehr unselbstbewusster Teil von mir in den 90ern festhängen und sich rund um die Uhr mit den damaligen Topmodels vergleichen: Cindy, Naomi, Linda, Christy, Tatjana. Ehrlich: an denen habe ich mich gemessen und mir gewünscht, so auszusehen wie sie. Ich habe mir gerade nochmal das Video zum George-Michael-Song „Freedom“ angeschaut. Es stammt aus dem Jahr 1990, als ich 12 wurde und zwar noch kein Teenager, dafür aber pummelig war.

Neulich hatte ich mal wieder so einen Flashback-Moment. Während eines Streits fühlte ich mich plötzlich unscheinbar und unattraktiv. Und ich spürte Zweifel in mir aufsteigen: an mir als Frau und an meiner Wahrnehmung. Mit allem kann ich nur schwer umgehen. Ich möchte mich nicht unscheinbar und unattraktiv fühlen. Ich möchte nicht an mir als Frau zweifeln. Und wenn es etwas gibt, das über alle Maßen schwierig für mich ist, dann das: Jemand zweifelt an meiner Wahrnehmung und gibt mir das Gefühl: „Nein, so ist es nicht. So kann es gar nicht sein. Da bildest du dir etwas ein.“

Warum ausgerechnet das ein besonderes Problem für mich ist? Ich habe eine Zwangsstörung und mir fällt es in gewisser Weise selbst sehr schwer, meiner Wahrnehmung zu trauen (obwohl ich weiß, dass ich das kann). Ich sehe, dass der Herd ausgeschaltet ist, und ich weiß es auch, aber ich muss, muss, muss dennoch hinstarren, um ganz, ganz sicher zu gehen, dass er auch wirklich, wirklich ausgeschaltet ist. Ich weiß und fühle, dass ich meine Hände gewaschen habe, ich rieche daran, der Duft von Seife steigt mir in die Nase, aber manchmal reicht das nicht aus und ich muss, muss, muss mir nochmal die Hände waschen.

In meiner Teenager-Zeit war ich nicht nur mit Goldlöckchen befreundet. Das wäre vielleicht in vielerlei Hinsicht besser gewesen, aber ich wollte mich nicht nur an eine Person binden, was sicherlich nachvollziehbar ist. Auf dem Gymnasium freundete ich mich mit einer gewissen Narzissa an. Ich nenne sie jetzt einfach mal so, weil ich irgendwann darauf kam, dass sie vielleicht eine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben könnte. Da war ich Mitte 30 und hatte diese Freundschaft schon lange geführt, allerdings mit Unterbrechungen. Hätte ich den Verdacht als Teenager gehabt und daraus eine Konsequenz gezogen, wäre mir einiges erspart geblieben. Aber ich fand sie toll, schön, klug! Sie war für mich da (solange ich sie nicht kritisierte) und ich konnte ihr alles erzählen (erst später verwendete sie es gegen mich).

Es gab einiges, für das ich sie sehr bemitleidete: zum Beispiel dafür, dass sie früh einen Elternteil verloren hatte und der andere übermäßig streng war. Aber ich beneidete sie auch, wie Teenager das manchmal total unbedarft tun: um ihre Topmodel-Figur und ihren Erfolg bei den Jungen (und Männern). Die Rollen waren sehr eindeutig verteilt: Sie war der schöne Schwan, ich das hässliche Entlein.

„Nein!“, wird jetzt vielleicht oder hoffentlich die eine Leserin oder der andere Leser rufen. „Das kann doch gar nicht sein. Jetzt stell mal dein Licht nicht unter den Scheffel!“ Aber es war so. Glaubt es oder nicht. Während Narzissa bei einer Model-Agentur unter Vertrag kam, aß ich und erbrach mich wieder. Entschuldigt, dass ich das jetzt so hart schreibe, aber es gibt keinen Grund, es in irgendeiner Form zu beschönigen. Es stand natürlich nicht in unmittelbarem Zusammenhang zueinander, das will ich damit gar nicht sagen. Aber grundsätzlich gibt es Zusammenhänge. Zum Beispiel zwischen dem damals wie heute gängigen Schönheitsideal, dem manche entsprachen und entsprechen, und gefährlichen Essstörungen, die andere bekamen und bekommen, und vor denen man nur warnen kann, wenn man ehrlich darüber spricht.

Narzissa war mehrere Jahre lang eine meiner besten Freundinnen, eine meiner engsten Vertrauten. Ich glaube nicht, dass sie mich extra ausgewählt hatte, weil ich ihr gefühlt nicht das Wasser reichen konnte. Ich glaube, sie mochte mich auch sehr, so wie ich sie. Sie hatte selbst auch viele Unsicherheiten und war auf keinen Fall böse oder dergleichen. Narzissten können nichts für ihre Störung, ebenso wenig wie Menschen mit Zwängen.

Damals war ich unsterblich in einen der besten Freunde meines Bruders verliebt. Er kam mit Narzissa zusammen und ich musste irgendwie damit umgehen. Die Beziehung hielt nicht lange. War das gut für mich? Keine Ahnung. Mein damaliger Schwarm und ich knutschten später ab und zu auf Partys, mehr war nicht drin. War DAS gut für mich? Ich weiß es nicht.

Später war ich unsterblich in einen Abiturienten verliebt, da war ich in der achten Klasse. Ich lernte ihn kennen und irgendwann fragte er mich mal nach Narzissa und irgendwie führte das dazu, dass ich eine gewisse Frustration und Selbstunsicherheit verspürte. Es ist nicht leicht, sich wie die zweite Wahl zu fühlen. Und manchmal befürchte ich so etwas sogar noch heute: dass ich neben einer schönen Frau verblasse. Ist das noch altersgemäß oder sollte ich mit Mitte 40 über den Dingen stehen? Wahrscheinlich schon. Ich könnte diese Gedanken für mich behalten. Aber ich versuche, ein umfassendes Bild von mir zu vermitteln. Nicht so zu tun, als ob oder als ob nicht. Ich möchte ehrlich sein, authentisch. Anders hat ein Blog, wie ich ihn schreibe, keinen Sinn.

8 Kommentare zu „Zum letzten Mal: Hässliches Entlein“

  1. Liebe Sophie, genau deshalb liebe ich deinen Blog, weil du so ehrlich und ohne Scheu auch über unbequeme Themen und von deinen Zweifeln schreibst.
    Weißt du, was ich mich frage: War es tatsächlich das Schlankseinwollen, oder nicht doch etwas anderes, das hinter deiner Essstörung steckte? Bulimie ist doch, so heißt es, ein Ausdruck von Hunger. Nach Liebe, nach Leben, nach Selbstverwirklichung. Da geht es manchmal weniger um mangelndes Selbstbewusstsein, am Äußeren festgemacht, als den Blick ins leere Innere. Ich hatte selbst so eine Phase, mit Mitte zwanzig, und das auch erkannt. Zum Glück. Ich steckte im „falschen Leben“.
    Dass du dich jetzt nochmal damit auseinandersetzt und dass dein Beitrag unter der Kategorie „Zum letzten Mal“, und nicht „Immer wieder“ läuft, finde ich ein klares Zeichen dafür, dass es dir heute besser geht und du viel erfüllter im Leben stehst. Weiter so und viel Freude und Erfolg bei allem, was dir wichtig ist! Liebe Grüße von Anke

    Gefällt 2 Personen

    1. Liebe Anke, ach, dein erster Satz rührt mich wirklich sehr. Ich glaube und befürchte, die unbequemen Themen bleiben umso unbequemer, je weniger darüber gesprochen (oder geschrieben) wird. Erst, wenn man sich äußert, merkt man, dass man nicht allein ist. Eine meiner besten Freundinnen hat mir gerade geschrieben, dass sie das mit dem Starren auf den Herd aus schwierigen Zeiten auch kennt. Ich wusste das, aber es hat mir trotzdem irgendwie gutgetan, es nochmal zu lesen. Und du schreibst ja jetzt auch von eigenen Erfahrungen. So etwas zu teilen, schafft eine Verbindung. Das finde ich sehr wertvoll.
      Aber, klar, man muss sich das natürlich erst einmal trauen. Auf dem Blog gelingt mir das manchmal sogar besser als im Zwiegespräch.
      Ich glaube, bei mir war es tatsächlich das Schlankseinwollen, das die Bulimie ausgelöst hat. Das liegt alles schon so lange zurück, dass ich mich nicht zu 100 Prozent erinnere, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Phase mit dem Erbrechen eine recht strikte Diät vorausgegangen war. Irgendwann konnte ich das nicht mehr durchhalten (am Rande bemerkt: hätte ich auch nicht müssen) und dann kam eins zum anderen. 😦
      Naja, jetzt liegt es wirklich lange zurück, aber auch heute noch habe ich ein paar eigentümliche Verhaltensweisen, wenn es ums Essen geht. Ich wiege mich, wenn möglich, jeden Tag, meistens sogar mehrmals. Und ich schreibe immer auf, was ich pro Tag esse …
      Ganz herzliche Grüße! Sophie

      Gefällt 1 Person

  2. Danke für deine ehrlichen Zeilen! Ich bin, ehrlich gesagt, sehr dankbar dafür, dass ich nicht mit diesen Themen konfrontiert war, die sicherlich sehr viele junge Menschen beschäftigen. Außerdem sind Essstörungen bei Männern grundsätzlich seltener als bei Frauen…
    Ich finde nicht, dass man mit Mitte 40 über den Dingen stehen muss, was Äußerlichkeiten angeht – dennoch wünsche ich dir für die Zukunft eine extra Portion gesundes Selbstvertrauen! Lass dir nicht einreden, du seiest nicht so gut wie du tatsächlich bist.

    Gefällt 1 Person

    1. Danke dir für deine lieben Worte. Die extra Portion gesundes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein kann ich gut gebrauchen. Nicht nur im Bezug auf mein Äußeres. Ich arbeite daran.

      Like

  3. Ich war mit 12 auch nicht sehr selbstbewusst und wurde warum auch immer gemobbt.
    Aber deine Probleme hatte ich wenigstens nicht, dafür hattest Du immerhin eine Freundin.
    Das hatte ich eher nicht.
    Keine Ahnung was da in der Schule bei mir los war aber ich war da sooo was von falsch wie nie wieder in meinem Leben.
    Ich die träumende Leseratte in der Hauptschule zwischen Prolls. Zumindest ist das heute mit Ende 40 meine Rückschau.
    Heute bin ich selbstbewusst.
    Ich bin mir selbst bewusst dass ich so anders bin und dass ich es auch damals schon war.
    Damals wollte ich so gerne dazu gehören.
    Tat ich aber nie.

    Gefällt 1 Person

    1. Ich glaube, dieses Gefühl kennt jede/r: dazugehören wollen. Vor allem aus der Kindheit und Teenagerzeit.
      Ich finde es total schön, wie du das schreibst: Heute bin ich selbstbewusst. Ich hoffe, dass ich das auch mal so klar über mich sagen kann.
      Liebe Grüße!

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu Anke Antwort abbrechen