Immer wieder: Why I Write

oder: Schreiben ist mein Lebensinhalt

Eine meiner Freundinnen – ich nenne sie mal Anna Freudchen, weil sie Psychologin und einige Zentimeter kleiner ist als ich und weil ich das Diminutiv gern für Personen verwende, die ich mag – hat mir zu meinem letzten Geburtstag ein sehr gutes Buch geschenkt. Es heißt „Schreibtisch mit Aussicht“ und enthält Texte von 24 Schriftstellerinnen, die davon erzählen, warum sie schreiben. Die Autorin Joan Didion, die ich nicht kannte, hatte einen Vortrag zu diesem Thema gehalten, der in dem Buch abgedruckt ist. Sie bezieht sich darin auf einen Vortrag von George Orwell, der den Titel „Why I Write“ trug, so hatte sie auch ihren genannt. Didion beschreibt, dass ihr der Klang der Wörter gefalle und der Laut, den sie gemeinsam haben: I, I, I. Ich, ich, ich. Und sie führt aus, dass sie das Schreiben als Akt empfinde, ICH zu sagen, sich anderen aufzudrängen, zu sagen: Hör‘ mir zu.

Ich finde es auch schön, wenn mir andere zuhören oder vielmehr: meine Texte lesen. Aber ich möchte mich nicht aufdrängen. Ich bin ein eher schüchterner Typ. Die Artikel, die ich von Berufs wegen schreibe, finde ich nützlich oder sogar nutzwertig. Ich glaube, dass Hunderte diese Texte lesen, vielleicht sogar Tausende. Die Zeitschrift, für die ich arbeite, hat eine hohe Auflage. Ich hoffe, die Leser fühlen sich gut informiert, manchmal im besten Fall darüber hinaus vielleicht sogar unterhalten. Ich möchte Wissen gern verbrauchernah vermitteln, ohne dabei wie ein Lehrbuch zu klingen. Bei meinen Texten muss immer alles korrekt sein, das setzt mich manchmal sehr unter Druck. Für meine Arbeit werde ich bezahlt, das ist gut, aber es ist mir nicht so wichtig, dass Hunderte oder Tausende diese Artikel lesen.

Die Texte, die mir am Herzen liegen, lesen sehr sehr sehr viel weniger Menschen. Aber das macht sie nicht zu schlechteren Texten. Eigentlich finde ich sie sogar sehr sehr sehr viel besser. Ich schreibe nicht, um mich anderen aufzudrängen, sondern um etwas mit ihnen zu teilen. Ein paar Gedanken, ein paar alltägliche Begebenheiten, ein bisschen von dem Plunder in meinem Kopf.

Neulich habe ich mich zum ersten Mal mit einer Bekannten verabredet. Ich kenne sie vom Spielplatz um die Ecke, wir haben uns schon öfters unterhalten, sie hat auch Töchter, die eine geht auf dieselbe Grundschule wie Supergirl und Baby Boss, sie wohnt hier im Kiez, das verbindet uns. Sie liest meinen Blog, was ich grundsätzlich total sympathisch finde. Sie hatte schon mal angedeutet, dass uns noch mehr verbindet als Kiez und Töchter. Sie erkenne sich in vielem wieder, was ich schreibe, hatte sie gesagt, neulich hat sie es genauer ausgeführt. Sie habe eine Zwangsstörung ebenso wie ich, die habe bei ihr im Kindesalter begonnen ebenso wie bei mir. Sie nahm Bezug auf die Aussagen, die ich zuletzt über eine meiner Töchter gemacht habe, auf deren Fragen, deren Zwang, sich rückversichern zu müssen. Es hätte sie bewegt, dass es auch andere Menschen gebe, denen es so geht wie ihr als Kind. Dass sie damit nicht allein sei. Mich berührte es, dass sie diese Erfahrungen mit mir teilte.

Das passiert im besten Fall, wenn ich schreibe: Jemand erkennt sich in meinen Texten wieder und lässt wiederum mich daran teilhaben. Solche Momente machen mich wahnsinnig glücklich. Nach diesem Treffen im Kiez hatte ich das Gefühl, dass es nicht einfach nur furchtbar ist, eine Zwangsstörung zu haben, sondern dass sie mich ein Stück weit zu der Person macht, die ich bin. Und dass sie auch andere Menschen formt, oft belastet, aber eben auch zu jenen macht, die sie sind. Und wenn wir uns in Zukunft im Kiez begegnen, wissen wir, dass wir nicht allein damit sind, und grüßen uns mit der Verbundenheit, mit der sich die Biker oder hier in Berlin die Busfahrer zunicken.

Im vergangenen Jahr habe ich dem Kolumnisten Harald Martenstein, den ich schon seit geraumer Zeit ein bisschen verehre, einen Leserbrief geschrieben. Den Gedanken, das zu tun, habe ich eine ganze Weile lang mit mir herumgetragen. Ich finde es gut und wichtig, anderen mitzuteilen, wenn sie etwas in mir auslösen. Und dann erschien im ZEITmagazin eine Kolumne, die mich besonders bewegt hat. Herr Martenstein schrieb darin übers Schreiben, bezog sich ebenso wie Joan Didion auf George Orwell und erzählte von seiner Mutter, die an Demenz erkrankt ist. In der Kolumne stand ein Satz, der mich sehr berührt hat: „Schreiben ist mein Lebensinhalt“ stand da. In meinem Brief habe ich andere Passagen zitiert, aber eigentlich war es dieser eine Satz, der mich seither nicht mehr losgelassen hat. Weil er nämlich das beschreibt, was auch ich empfinde. Natürlich sind auch meine Kinder mein Lebensinhalt, meine Familie, meine Freunde. Aber das sind alles Dinge, die sich außerhalb von mir befinden. Wenn ich allein auf mich schaue, dann bleibt da nur das Schreiben. Seitdem ich die ersten Buchstaben aneinanderreihen konnte, war es immer da – und es wird hoffentlich immer bleiben. Damit ich etwas mit anderen teilen kann.

6 Kommentare zu „Immer wieder: Why I Write“

    1. Lieber zeitgeiststories, ich freue mich total, dass du das schreibst: dass du meine Texte gern liest. Und ich freue mich, dass du dir so oft Zeit nimmst, auf meine Beiträge zu reagieren und sie zu kommentieren. Es ist ein schönes Gefühl, wenn ich merke: Ich erreiche jemanden da draußen im World Wide Web. ☺️ Liebe Grüße, Sophie

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  1. Das hast du wunderbar gesagt und mir aus dem Herzen gesprochen. Ich denke auch manchmal, warum tue ich das, warum MUSS ich schreiben, es ist wie eine Sucht. Die, wenn ich sie befriedige, aber nicht nur mir hilft, sondern die Leser berührt, anregt, erreicht. Zum Schmunzeln, Nachdenken, Weiterdenken bringt. Und das macht glücklich, nicht wahr? Es ist unsere Art, etwas zu geben, zu teilen. Manchmal glaube ich, dass ich mich besser schriftlich ausdrücken kann als im Gespräch. Hast du dieses Empfinden auch? Ich schreibe auch dienstlich lieber E-Mail, als dass ich telefoniere. Letzteres kann ich dann immer gut auf die Sprache Italienisch schieben. Ich fürchte aber, das ist in Deutsch nicht anders. Einige Texte, die ich beruflich schreibe, liest kaum einer wirklich, fürchte ich. Kürzlich mixte ich Sätze aus einem Katalog für ein Skript für ein Video Voiceover, den Text sah die Grafikerin, die das Bildmaterial dazu auswählen sollte, und war ganz gerührt. Ich sagte ihr, das steht schon seit einem Jahr im Katalog, den du gelayoutet hast. Ach ja? Ich lese das nie.
    Ich bin sehr froh, deinen Blog gefunden zu haben und deine Texte lesen zu dürfen, liebe Sophie.

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    1. Liebe Anke, ja, das geht mir ganz genauso: Ich glaube, ich kann mich schriftlich besser ausdrücken. Und ich traue mich auch mehr zu teilen, wenn ich schreibe. Im Gespräch schaut man bei manchen Themen eben doch in betroffene Gesichter. Das kann ich nicht so gut aushalten. Ich denke dann: Schau‘ mich an, mir geht es doch total gut, daran kann auch der ganze Plunder in meinem Kopf nichts ändern.

      Weißt du was? Ich telefoniere auch nicht gern mit Fremden. Auch da habe ich eine gewisse Schüchternheit. Das mache ich auch lieber per Mail, aber das geht leider nicht immer.

      Ich freue mich, wenn ich etwas mit anderen teilen kann, und ich freue mich auch, wenn andere etwas mit mir teilen: selbst schreiben oder Musik machen oder malen oder oder oder. Wenn andere dadurch eine Saite in mir zum Klingen bringen. Das macht mich glücklich. Und ich freue mich dann auch, dass der andere das, was ihn beschäftigt, auf diese Art nach außen trägt. Und sich Zeit dafür nimmt.
      Herzliche Grüße nach Italien! 💕
      PS Schön, dass der Text aus dem Katalog, von dem du schreibst, letztendlich doch noch jemanden berührt hat. ☺️

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  2. Liebe Sophie, so ist es: Seit du die ersten Buchstaben aneinanderreihen konntest war es immer da – und ich hoffe, dass es immer bleiben wird.
    Ob ich nun an das „Erstlingswerk“ von der „Familie vom Roten Stern“ denke, an „Nelson und Ani(c)ka“ oder an „Levi“, das alles waren Geschichten, die du dir schon als Kind ausgedacht hast. Es kamen im Laufe der Zeit wunderbare Aufsätze dazu und ebensolche Briefe. (Und natürlich Artikel für Zeitung und Verlag.) Und jetzt, nachdem z.B. „Der Eiskrem-Wettbewerb“ fertig und ausgelesen ist, schreibst du für uns deine „Anmerkungen zum Leben“, die ich immer mit Interesse und voller Bewunderung lese. Ich wünsche dir viel Erfolg und freue mich schon auf deinen nächsten Beitrag. Mach weiter so, ich bin sehr stolz auf dich. LGH

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    1. Worum es bei „Levi“ überhaupt ging, weiß ich schon gar nicht mehr. Vielleicht muss ich bei Gelegenheit mal bei euch in dem Manuskript stöbern. Ich habe es selbst nicht, noch nicht einmal digital. Es ist ein sehr schönes Gefühl zu wissen, dass meine Texte bei euch wie in einer gut sortierten Bibliothek erhalten werden. Von den Mädchen weiß ich, dass du auch alte Artikel aufgehoben hast, die ich fürs Sportressort geschrieben habe: „Sieg im Schuhkarton“ und so.
      Es macht mich froh, dass du so viel Freude an meinem Blog hast und stolz auf mich bist. Vielleicht braucht man gar nicht viele Leser, Hauptsache, es sind „die Richtigen“. 😉
      Liebe Grüße, Sophie

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