Immer wieder: Nerven wie Drahtseile

oder: Meine bessere Hälfte

In den vergangenen Wochen bin ich ein paar Mal sehr zaghaft und nur im zweiten Gang Auto gefahren – in dem Ort, in dem unser Wochenendhäuschen liegt. Ich muss das üben, das Autofahren. Ich habe seit ca. 20 Jahren kein Lenkrad mehr angefasst. Warum, ist eine lange und ereignisarme Geschichte, die ich vielleicht ein anderes Mal erzähle, aber wahrscheinlich eher nicht. Es kommt jedenfalls kein Unfall darin vor. Von Gang zu Gang schalten und mich dabei auf den Verkehr konzentrieren, überfordert mich einfach, das ist eigentlich schon alles. Mein Mann gibt mir Fahrunterricht, er sagt, es sei nötig, wir könnten so nicht weitermachen. Immer muss er fahren. Und wenn er verhindert ist, springt mein Vater ein.

Ich schlage mich ganz gut, finde ich, und mein Mann bestätigt mein Gefühl. Ich habe das Auto nur einmal abgewürgt und schalte ansonsten fehlerfrei vom ersten in den zweiten Gang und zurück und krieche mit Tempo 20 im Kreis.

Neulich hat mein Mann versucht, ein Glas mit eingelegten Heringen zu öffnen, das uns meine Eltern aus ihrem Dänemark-Urlaub mitgebracht haben. Obwohl er stark ist, hat er es nicht geschafft, aber vielleicht ist es nicht nur eine Frage von Kraft, sondern auch von Technik. Ich bilde mir ein, dass die Windungen von Drehverschlüssen zu den wenigen Dingen gehören, die linkshänderfreundlich sind. Mir gelingt es nämlich von Zeit zu Zeit, Gläser zu öffnen, an denen mein Mann scheitert. So war es auch bei den Heringen. „Wo du jetzt wieder anfängst, Auto zu fahren, habe ich mich bald selbst wegrationalisiert“, sagte er.

Dazu wird es nie kommen. Denn mein Mann ist meine bessere Hälfte.

Meine Freundin Goldlöckchen, die alleinerziehend ist, wünscht sich manchmal, dass sie jemanden an ihrer Seite hätte, der auch mal ein Rohr abschraubt, wenn das Waschbecken verstopft ist, oder mit ihr in den Baumarkt fährt. So etwas macht sie nämlich alles allein. Sie sagt, sie wolle nicht unemanzipiert klingen, manchmal sehne sie sich einfach nur danach, Alltag und Verantwortung zu teilen.

Ich kann das zu hundert Prozent nachempfinden. Ich selbst verlasse mich in vielen Dingen komplett auf meinen Mann – er sich aber auch andersherum auf mich. Ich bilde mir ein, dass sich das Arbeitsteilung nennt und nicht etwa Rollenverteilung. Aber vielleicht rede ich mir das auch schön und sollte alles allein können: Onlineüberweisungen veranlassen, Flüge buchen, kochen und eben auch Auto fahren.

Mein Mann ist in vielerlei Hinsicht ganz anders als ich, und für manche seiner Eigenschaften und Fähigkeiten bewundere ich ihn heimlich. Er ist ruhig, wenn ich kurz davor bin, die Nerven zu verlieren. Er ist selbstbewusst und unverzagt, wenn ich mich unsicher fühle. Er macht sich nicht um alles und jeden einen Kopf, wie ich es tue. Er geht voran, auf die Menschen zu, er traut sich einfach alles oder zumindest fast alles und hat nicht die unnötige Sorge sich zu blamieren, wie ich sie habe. Zum Beispiel macht es ihm nichts aus, fremde Sprachen zu sprechen, und seien es auch nur ein paar Brocken, etwa Türkisch, wenn er auf dem Markt Oliven kauft. Er tut es, damit sich sein Gegenüber wohl fühlt. Das finde ich schön.

Wenn nötig, kann ich mich hinter ihm verstecken. Dann regelt er alles, was ich ungern tue oder wozu ich einfach nicht in der Lage bin: Tickets online buchen, Hoteliers nach Toilettenpapier fragen, das Auto betanken, auf eine Fähre fahren. Auf Reisen fällt mir das besonders auf. Momentan zum Beispiel fährt er nicht einfach nur Auto, sondern Auto in England. Aber das macht ihm nichts aus: das bisschen Linksverkehr, die engen, von Hecken begrenzten Straßen.

Ich hingegen bin im Vorfeld einer Reise zum Beispiel für das Packen zuständig: für unsere drei Töchter, mich und ihn. Er sollte diesmal nur die Reiseunterlagen, die Pässe und das Notebook einstecken. Das Notebook hat er vergessen. Ich bin diejenige, die mit viel Hingabe, fast schon Akribie, unsere möglichen Ausflüge plant. Dazu erstelle ich seitenlange Dokumente mit Bildern, die ich im Internet suche, und liste Fahrtdauern auf, die ich bei Google Maps recherchiere.

Vor ein paar Tagen mussten wir nach einem von mir geplanten Ausflug auf einer sehr engen kornischen Straße einem Reisebus ausweichen, da ist mein Mann einfach auf ein Feld eingebogen. Als er rückwärts herausfahren musste, habe ich ihn rausgewunken. Das können wir nämlich besonders gut: Teamwork. Sich auf jemand anderen zu verlassen, hat doch nichts mit Unemanzipiertheit zu tun. Oder etwa doch?

7 Kommentare zu „Immer wieder: Nerven wie Drahtseile“

  1. Ich bin auch ein großer Fan von Arbeitsteilung! So kann jeder seine Stärken optimal einbringen und die nicht so starken Seiten werden schön kaschiert…
    Danke für diesen Beitrag und noch einen schönen Urlaub. Und nicht vergessen: always drive left 😉

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  2. Liebe Sophie: Das Thema Teamwork ist gut beschrieben. Und die Liebeserklärung an die „bessere Hälfte“ fand ich prima. Ich glaube, das ist das Geheimnis von „Yin und Yang“. Sich ergänzen und lieben — beides!
    Macht weiter so und viel Spaß im Linksverkehr wünscht der „Follower“

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  3. Das Notebook hat er vergessen. Ha ha ha. Ich hoffe, ihr benötigt es nicht wirklich. 😂
    Ich erkenne unsere Paarkonstellation eins zu eins in deinem Text. Wir Frauen sind die Planer, die Männer die Macher (und Fahrer). Ich habe gerade seit Langem eine Zugfahrt gebucht, weil ich diesmal auch eine Woche ohne Mann Urlaub machen muss und will. Ich fahre nämlich keine Autobahn. Es gibt hoffentlich immer für alles eine DIY-Lösung, falls mal nötig, ansonsten ist Teamwork einfach praktisch. Und doch wohl auch der ursprüngliche Zweck von Familie? Linksfahren, oh my god. Ohne mich! Complimenti an deinen Mann!

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    1. Naja, ich hatte mir das Notebook ganz praktisch vorgestellt, um auch mal einen Blogbeitrag schreiben zu können. Jetzt mache ich das halt auf meinem klitzekleinen Smartphone oder auf dem Tablet. Auch gut. 😉
      Wo fährst du denn hin?

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      1. Echt, auf dem Smartphone schreibst du? Das könnte ich nicht. Ein Tablett hatte ich nie, ich brauche eine anständige Tatstatur, will in die Tasten hauen beim Schreiben. 😆
        Ich habe eine Woche in Alassio Ligurien gebucht, da hält der Zug von Mailand aus direkt und ganz zentral. Früher war ich da auch schon mit dem Zug, sogar einmal mit meinen Eltern, als ich noch keinen Führerschein hatte.

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      2. Normalerweise schreibe ich auch immer am „richtigen“ Computer und klappere mit der Tastatur. Da bin ich voll bei dir!
        Dein Reiseziel klingt gut und ist bestimmt einen Blogeintrag wert! Ich freue mich schon darauf. ☺️

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  4. Eine wunderbare, einzige Liebeserklärung an den Mann mit den Drahtseilnerven und eine gelungene Beschreibung eures harmonischen Zusammenlebens.
    Es ist schön zu wissen, dass ihr euch so gut versteht und eine glückliche Familie seid.

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