Zum ersten Mal: Skilanglauf

oder: Fahren und sparen

Es gibt zwei Kategorien von Berlinern: jene, die in den Skiurlaub fahren und sich waghalsig Pisten in Süddeutschland, Österreich, Tschechien und der Schweiz herunterstürzen. Und solche, die das nicht tun. Zu welcher Kategorie jemand zählt, scheint mir genetisch bedingt zu sein: ein dominant-rezessiver Erbgang. Das Skifahren setzt sich durch und wird von Generation zu Generation weitergegeben: Skifahrende Eltern fahren mit ihren skifahrenden Kindern in den Skiurlaub. Die anderen lassen die Winterferien achselzuckend verstreichen und sparen sich die Urlaubstage für wärmere Temperaturen.

Mein Mann und ich sind keine Skifahrer. Dabei hat mein Mann als Kind einige Jahre im Allgäu gelebt. Was war passiert? Seine Eltern können auch nicht Ski fahren. Da haben wir es wieder: alles genetisch bedingt. Ich glaube, mein Mann hätte das Zeug dazu gehabt, dennoch auf der Piste mitzumischen. Es steckt ein bisschen Bayer in ihm. Als ich ihn kennengelernt habe, sprach er mit einem so starken Allgäuer Dialekt, dass ich ihn kaum verstanden habe. Statt „ich“ hat er „i“ gesagt und statt „ist“ „isch“. Das hat mich total verwirrt. In meiner Erinnerung trug er bei unserem ersten Treffen Lederhosen, aber wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein.

Es liegt übrigens nicht nur am Erbgang, ob jemand Ski fährt. Es liegt auch am Geld. Auch deshalb gehörten mein Mann und ich nicht dazu. Damit meine ich nicht, dass wir in armen Verhältnissen aufgewachsen wären, aber ganz gewiss auch nicht in reichen.

Für unsere Kinder wollten wir diesen Kreislauf – Skifahrer bekommen Skifahrerkinder, die anderen schauen in die Röhre – durchbrechen. Dafür mussten wir erfreulicherweise nicht extra sparen, denn wir haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber allen skifahrenden Berlinern, die wir kennen. Meine Schwiegereltern leben nach wie vor im Allgäu, und wenn wir sie besuchen, haben wir freie Kost und Logis. Das heißt: wir wohnen und essen eine Woche lang komplett umsonst! Am Ende kommen wir gefühlt mit mehr Geld zurück, als wir vorher hatten.

Mein Schwiegervater macht die Einkäufe, kauft extra Joghurt und Obst, holt morgens Brötchen und Brezeln und räumt den Geschirrspüler ein und aus. Meine Schwiegermutter kocht und bäckt und verwöhnt uns, wo sie nur kann. Wenn wir besonderes Glück haben, ist ihre Schwester zu Besuch und kocht und bäckt ebenfalls. Und dann kommt meine Schwägerin und bringt Käse aus Österreich und Champagner mit und Geschenke für die Mädchen und mich. Oft habe ich gar nicht das Gefühl, im Allgäu zu sein, sondern im Schlaraffenland.

Und während sich hinter den Kulissen alle um unser Wohl bemühen, stürzen sich unsere Kinder waghalsig die Piste herunter, in diesem Jahr zum dritten Mal. Ich würde das auch gern tun, vielleicht nicht unbedingt „waghalsig“ und vielleicht auch nicht „herunterstürzen“. Aber beim Anblick der schneebedeckten Berge und Hügel kribbelt es mir in den Beinen. Dass ich keinen Anfängerkurs besuche, liegt an Supergirl. Sie möchte nicht, dass ich mit dem Schlepplift fahre. Ohne den geht es aber nicht, wenn man über den Idiotenhügel hinauskommen möchte. Supergirl befürchtet, ich könne am Anker aus Gummi hängenbleiben und würde – ich zitiere – „in den Tod gerissen“. Oben am Lift steht nämlich ein Pfahl aus Metall, vor ihrem geistigen Auge sieht sie mich dagegen knallen. Weil ich mich mit unheilvollen Befürchtungen im Allgemeinen und geistigen Augen im Speziellen auskenne, fahre ich also nicht: weder Ski noch Schlepplift. Es würde Supergirl den Spaß verderben, wenn sie sich die ganze Zeit um mich sorgen müsste. Egal, wo sie sich am Hang befände, sie würde nur bangen Herzens zum Skilift linsen.

Deshalb haben sich mein Mann und ich für dieses Jahr etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Wir sind Langlaufski gefahren. Das wird doch nicht so schwer sein, haben wir selbstgefällig gedacht. Und den Schlepplift muss man auch nicht benutzen. Also haben wir kurzerhand Langlaufskier und -stöcke ausgeliehen und sind im schönen Ort Buchenberg zur Loipe gefahren.

Nun ist es aber so, dass Dinge nicht immer leicht sind, nur weil sie leicht aussehen. Wenn jemand elegant über den Schnee gleitet, dann steckt eine Technik dahinter, die sich nicht innerhalb von fünf Minuten erlernen lässt. Vor allem nicht, wenn niemand zur Stelle ist, der sie einem erklärt. Mein Mann und ich glitten also über den Schnee, in der Rille, die die Loipe vorgab, aber nicht unbedingt elegant. Das soll nicht heißen, dass wir uns dumm angestellt haben, vielleicht machten wir unsere Sache sogar ganz gut fürs erste Mal. Dennoch stieg der Gedanke in mir auf, dass wir am Vorabend doch wenigstens ein YouTube-Tutorial hätten anschauen sollen. Für mehr Schwung und weniger Gestakse.

Mein Mann, der alte Allgäuer, fuhr vor mir. War er nun eleganter unterwegs als ich? Ich konnte es nicht sagen. Jedenfalls schneller. Manchmal hängte er mich regelrecht ab. Ich weiß nicht, ob es Absicht war. Hintereinander in der Loipe zu fahren, ist nicht besonders kommunikativ. Aber immerhin sicherer, als sich die Piste herunterzustürzen oder – noch schlimmer – Lift zu fahren. Im Sportgeschäft, in dem wir die Skier ausgeliehen hatten, hatte der eine Mitarbeiter gesagt: „Wer Langlaufski fährt, lebt länger.“ Das klang gut. Dennoch fielen wir beide mehrmals in den Schnee, mein Mann tat sich sogar weh, überdehnte sich die Bänder im linken Fuß. „Am Ende ist man froh, wenn man den ganzen Mist wieder im Sportgeschäft abgegeben hat“, sagte er. Aber Spaß hatten wir trotzdem.

Nach dem letzten Kurstag der Mädchen saßen wir mit dem Inhaber der Skischule zusammen. Ich nenne ihn jetzt einfach mal Gustav. Der Gustav ist ein feiner Kerl. Wir kennen ihn, weil er der Mann einer der besten Freundinnen meiner Schwägerin ist. Wir haben ihn vor drei Jahren das erste Mal gesehen und seither nur zwei weitere Male, in den Winterferien 2022 und in diesem Jahr. (2021 konnten wir wegen Corona nicht ins Allgäu fahren). Aber er gibt uns das Gefühl, dass wir uns schon unser ganzes Leben lang kennen: seitdem wir als Kinder gemeinsam Schlepplift gefahren sind. Die Mädchen bekommen saftige Rabatte auf den Skikurs, die Leihgebühr für einen zusätzlich Skitag hat uns der Gustav komplett geschenkt. Schlaraffenland. „Für erwachsene Anfänger haben wir auch Kurse“, sagte der Gustav im Allgäuer Dialekt, während wir Apfelschorle auf Kosten der Skischule tranken. „Zum Beispiel immer sonntags ‚Skifahren lernen an einem Tag‘.“ Supergirl gruselte sich ein bisschen bei diesen Worten und machte ganz große Augen. Aber vielleicht können wir im nächsten Jahr keine Rücksicht mehr darauf nehmen. Vielleicht kribbelt es mir noch mehr in den Beinen, seitdem ich mich durch die Loipe gekämpft habe. „Do simmer dabei“, sagte mein Mann. Und ich werde beizeiten ein Tutorial anschauen, das einem das Schleppliftfahren erklärt.

8 Kommentare zu „Zum ersten Mal: Skilanglauf“

  1. Liebe Skihasen und solche, die es noch werden wollen! Das mit den Genen mag zum Teil stimmen… dass Schlepplifte gefährlich werden können auch, soweit man nicht aufpasst und die Kleidung dazwischenfunkt…aber was zweifelsfrei stimmt , ist die Notwendigkeit, sich so schnell wie möglich die richtige Technik anzueignen. Die Kinder haben da einen entscheidenden Vorteil gegenüber uns Oldies: die Angst fährt nicht so oft mit und die Beine sind meist nicht so stacksig. Deswegen investiert nicht nur in Skikurs für die Kids, sondern lernt es richtig, im Schnee und in der rutschigen Loipe und nicht nur nach youtube….dann gibt es nicht nur das kulinarische, sondern auch das sportliche Schlaraffenland…. übrigens bei der skibegeisterten Tante waren die gleichen Gene für Skibegeisterung verantwortlich…wie bei mir (ihre Tante) und meiner Familie auch. Vielleicht klappt es ja mal für eine gemeinsame Loipentour im schönen Allgäu

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    1. Liebe Sonja, eine gemeinsame Loipentour im Allgäu zu unternehmen, klingt großartig. Das sollten wir uns fürs nächste Jahr vormerken. In dir hätten wir auch eine kompetente Trainerin mit dabei. Dann brauchen wir auch keine YouTube-Tutorials. 😉 Herzliche Grüße aus Berlin!

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      1. Liebe Sophie, das wäre ein Traum! Aber ich bin weit entfernt davon, ein Mastertrainer zu sein… bin froh, wenn ich die Loipentour ohne Sturz überstehe. Theorie im Kopf hilf nicht unbedingt bei eisiger Loipe unter den schmalen Brettern 😉 dann hilft aber abschnallen und Stolz über Bord zu werfen. Da beneiden ich immer noch die Skifahrer mit ihren scharfen Kanten. Aber das Lauferlebnis entlang eines tief verschneiten Bachlaufs ist tausendmal schöner als das Gedränge am Skilift…Deswegen bin ich so ein LL Fan. Herzliche Grüße

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      2. Ich habe die Skier auch zweimal abgeschnallt! Die Loipe, die wir zweimal gefahren sind, führte nämlich an einer Stelle einen kleinen Hang hinunter. Nichts für meine Anfänger-Fahrkünste. Mir war nämlich auch nicht ganz klar, wie ich in der Loipe bremsen soll. Die Pizza-Bremse, die die Mädels vom Abfahrtski kennen, lässt sich dort ja nicht umsetzen. 😉

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      3. Das stimmt, da muss ein Ski aus der Loipe und die Pflugstellung zum Bremsen nutzen. Ist die Loipe nicht vereist, geht auch umsteigen, also kurze Schlittschuhschritte. Sieht man bei den Profiläufern und manchmal gelingt es auch dem Skigott unter unserem Dach. Ich muss mich dazu immer noch überwinden. Aber ich bin auch nicht so ehrgeizig wie er. Spaß geht vor Leistung 😉

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