Zum ersten Mal: Baby Boss spielt Musical

oder: Kindheitsträume

Vor einigen Tagen fiel mir eine Besetzungsliste in die Hände. Auf dem mit sorgfältiger Kinderhandschrift und Füller geschriebenen Zettel standen verschiedene Rollen für einen Film, der offenbar „Die Lady“ heißen sollte. So lautete jedenfalls die Überschrift. Hinter dem Namen Kate stand in Klammern der Begriff Hauptperson und dahinter der Vor- und Nachname meiner jüngsten Tochter. Sie hatte weitere Namen und deren Rollen und dahinter Schauspieler vermerkt, darunter so illustre Persönlichkeiten wie Emma Watson, Millie Bobby Brown und Eddie Redmayne. Ich stellte fest, dass sich Baby Boss unter ganz großen Schauspielern sah. In einem Film, in dem sie nicht nur die Hauptrolle spielen, sondern auch das Drehbuch schreiben und das Casting übernehmen würde. Dream big! Ich zeigte Belle den Zettel und wir schmunzelten um die Wette.

Baby Boss ist sich schon jetzt sicher, in welche berufliche Richtung es für sie gehen soll: Sie möchte Schauspielerin werden. Was sonst? Ich kenne den einen oder anderen Widder, der sich gern im Rampenlicht sieht und unbestritten gut darin macht. 

Wenn ich mir meine jüngste Tochter so anschaue, dann erinnert sie mich in manchen Punkten an das kleine Mädchen, das ich vor Jahrzehnten gewesen bin. Ich war bei weitem nicht so selbstbewusst wie sie und ich habe auch nie gern im Mittelpunkt gestanden. Aber ich war ähnlich kreativ. Ich schrieb keine Besetzungslisten, aber Geschichten, seitenlang. Überraschend lang für ein Kind und später für einen Teenager. Ich weiß nicht, ob ich damals schon Schriftstellerin werden wollte. Vielleicht wusste ich gar nicht, dass das ein Beruf ist, von dem man im besten Fall sogar leben kann. Aber ich wollte schreiben. Schreiben, schreiben, schreiben. So wie Baby Boss schauspielern und singen und tanzen möchte.

Neulich stand sie zum ersten Mal auf der großen Bühne, ich möchte fast sagen: den Brettern, die die Welt bedeuten. Sie spielte die Gräfin zu Fürstenberg in dem Kinder-Musical „Kaiser Knöpfchen“, das Mitte Mai an drei Abenden an ihrer Grundschule aufgeführt wurde. Es ist zwar nur eine Nebenrolle, aber die spielte sie mit Bravour. Die Augen verdrehen und Anweisungen erteilen – das beherrscht sie aus dem Effeff. Und singen? Das kann sie außergewöhnlich gut. Zwar hatte sie kein Solo, dafür sang sie im Chor umso engagierter. Manchmal kann ich es kaum glauben, dass ich so talentierte Töchter habe. Ich traue ihnen alles zu. Baby Boss will Schauspielerin werden? Na klar.

Wenn es nach ihr ginge, würde sie lieber heute als morgen eine Schauspielschule besuchen, am besten in England oder den USA, weil sie denkt, dass im englischsprachigen Raum die Chancen größer sind, eine richtig steile Karriere zu machen – so wie Emma Watson, Millie Bobby Brown und Eddie Redmayne. Ihren Berufswunsch trägt Baby Boss auch immer dann vor, wenn es darum geht, für eine Mathearbeit zu lernen. „Ich brauche das doch alles gar nicht!“, ruft sie. Und ich denke, dass sie recht hat, tue aber trotzdem so, als ob Mathe wahnsinnig wichtig sei – auch für angehende Schauspieler.

Ich denke, es gibt viele Träume, die sich relativ einfach verfolgen lassen, Ziele, die in greifbare Nähe rücken, wenn man sich nur auf den Weg macht. Der erste Schritt muss gegangen werden, der Rest ergibt sich im besten Fall fast schon von selbst. Man muss nur wissen, welcher Weg das sein soll.

Eine meiner besten Freundinnen aus meiner Zeit am Gymnasium ist auch Schauspielerin geworden, noch dazu sehr erfolgreich. Sie spielt am Hamburger Thalia Theater und auch in Produktionen für Kino und Fernsehen. Ich weiß, wie akribisch sie ihre Aufnahmeprüfungen für Schauspielschulen damals vorbereitet hat, sie hatte schon lange vorher Schauspiel- und Gesangsunterricht. Es wäre das, was ich Baby Boss auf jeden Fall ermöglichen würde. Ich möchte sie bei ihrem Vorhaben unterstützen. Gesangsunterricht hat sie schon seit zwei Jahren, ich bin ihr größter Fan, dicht gefolgt von ihrem Gesangslehrer, ein Sweetheart durch und durch. Neulich habe ich wieder hinter der Tür gestanden und sie beim Singen belauscht, mit Tränen in den Augen.

Was mich betrifft, so scheint es mir, dass ich noch immer nach dem Weg suche, den ich so gern beschreiten würde. Ich würde direkt losgehen, noch sehr viel wahrscheinlicher würde ich joggen. Aber mein eigenes Ziel scheint so unerreichbar, ich weiß nicht, welche Richtung ich einschlagen und wie ich mich dem nähern soll. Leider gibt es keine Schriftstellerei-Schulen und nur wenige Studiengänge, die angehende Autoren fördern. Ich weiß nicht, ob diese Studiengänge überhaupt schon existierten, als ich vor Jahrzehnten mit der Schule fertig geworden bin. Ich kannte sie jedenfalls nicht und habe vor lauter Verlegenheit Jura studiert. Jetzt bin ich Mitte vierzig und keine Schriftstellerin oder vielleicht doch, aber nur im Geheimen. Vielleicht ist es mir auch deshalb so wichtig, Baby Boss schon frühzeitig auf ihrem Weg zu unterstützen. Denn für solche Träume braucht es Unterstützer.

Manchmal denke ich darüber nach, was ich in einer Widmung schreiben würde, wenn jemals eines meiner Bücher veröffentlicht werden sollte. Es gibt ein paar Menschen, denen ich gern danken würde. Es gibt Menschen, die wirklich an mich glauben. Vielleicht würde ich ohne sie schon gar nicht mehr schreiben – oder nur noch beruflich, und das ist wirklich nicht dasselbe! Ich glaube sogar, dass es Menschen gibt, die mehr an mich glauben, als ich es selbst tue. Mein Mann und meine Eltern zum Beispiel. Ich glaube, die drei sind meine größten Fans. Und Baby Boss vielleicht. Die sagte neulich, nachdem sie das noch unfertige Manuskript von „Ferien bei den Royals“ gelesen hatte: „Man würde gar nicht denken, dass du das geschrieben hast.“

Neulich habe ich mich endlich getraut, mein Manuskript von „Eiskalte Ermittlungen“ bei einer Handvoll Verlagen einzureichen. Das wäre nicht möglich gewesen ohne Anke im fernen Italien, Pippilotta und Goldlöckchen, die mein Buch – teilweise mehrfach – gelesen und mir immer wieder wertvollen Input geliefert haben. Zuletzt konnte ich das Manuskript dennoch kaum loslassen, kaum losschicken. Es gelang mir erst, nachdem das talentierte Goldlöckchen für mein Exposé quasi aus dem Handgelenk eine fantastische Illustration gezaubert hatte, die meine Unterlagen hoffentlich von den zahlreichen anderen Einsendungen abhebt und dafür sorgt, dass sie nicht direkt im Aktenvernichter landen. Tausend Dank dafür. Niemand kann ermessen, wie viel mir all das bedeutet.

Bei der Premiere von „Kaiser Knöpfchen“, als Baby Boss das allererste Mal in ihrem Leben vor einem vollen Zuschauerraum spielte, saß eine ihrer besten Freundinnen im Publikum. Nach der Vorstellung gratulierte sie Baby Boss zum Auftritt und überreichte ihr eine Rose. Sie steht noch immer in Baby Boss’ Zimmer in einer Vase. Es braucht Unterstützer. Egal, auf welchem Weg.

8 Kommentare zu „Zum ersten Mal: Baby Boss spielt Musical“

  1. Wow, was für eine kreative Familie! Ich wünsche dir und deiner Tochter, dass ihr Schritt für Schritt euren Träumen näher kommt… und mit der tollen Unterstützung, die ihr beide jeweils bekommt, wird es am Ende für euch beide den großen Durchbruch geben. Ganz bestimmt.

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    1. Danke dir, lieber zeitgeiststories, für deine guten Wünsche!
      Bei dir möchte ich mich an dieser Stelle auch gern noch für etwas anderes bedanken: dafür, dass du zu meinen treuesten Lesern gehörst und auch immer Zeit findest, einen Kommentar zu schreiben. Das macht mich sehr froh. 🙂

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  2. Schauspielerin in Amerika, oder gleich „amerikanische Schauspielerin“. Das stand bei unserer Jüngsten vor ein, zwei Jahren auch auf dem Wunschzettel der Berufswahl. Muss sich rumgesprochen haben, dass es da besser funktioniert. Oder dass man nur in Amerika wirklich berühmt wird. Eben wie Millie Bobby Brown. 😉 Hihi. Nein, im Ernst: Ich verstehe nur zu gut, dass du sich sorgst, deine Tochter auf den richtigen Weg zu begleiten. Das ist nicht einfach, denn viele wollen Künstler werden und nur wenige können davon leben. Bis zur anstehenden Entscheidung sollte man sie erstmal alles mitnehmen lassen, was sich in Sachen Ausprobieren ergibt. Das macht ihr richtig! Dir, liebe Sophie, drücke ich weiter fest die Daumen, dass dein Manuskript in die richtigen Hände gelangt. Ich glaube nämlich an dich als Schriftstellerin. Liebe (Fan)tastische Grüße aus Italien! 😊
    PS: Die Interessen von Mutter und Tochter lassen sich auch verbinden. Ich hatte mal voller Enthusiasmus für einen nur in Englisch und Italienisch vorliegenden wunderbaren Filmsong einen deutschen Text geschrieben und mir eingebildet, den könnte meine Tochter dann singen, und wir kämen beide groß raus. Die Sängerin hatte dann aber keine Lust auf diese Zusammenarbeit. 🤷‍♀️

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    1. Ach, liebe Anke, über dein PS habe ich gerade herzlich gelacht! Ja, die Zusammenarbeit muss dann schon gewollt sein! 😉 Für mich klingt das nach einem sehr vielversprechenden Projekt! 😉
      Weißt du, was ich manchmal denke? Dass ich total froh bin, dass Baby Boss und ich überhaupt so privilegiert leben, dass wir uns solchen Träumen widmen können. Und oft denke ich auch, dass ich mir meinen schriftstellerischen Durchbruch nicht erhoffe, um (viel) Geld damit zu verdienen. Ich lebe sehr gut so, wie ich es jetzt tue. Was ich mir wünsche, ist, noch mehr Kinder und Jugendliche zu erreichen, nicht nur meine eigenen und meine Nichte und meinen Neffen und vielleicht die eine oder andere Probeleserin aus dem Freundinnen-Kreis meiner Töchter. Das wäre schön!
      Herzlichst, Sophie
      PS Das mit der amerikanischen Schauspielerin ist auch super-lustig und zuckersüß! 🙂

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  3. Liebe Sophie, Du machst das genau richtig und Baby Boss kann sich glücklich schätzen. Du siehst die Begeisterung und das Talent und Du gibst beidem eine Chance, indem Du es unterstützt. Einfach schön. Und genau so hast Du es auch verdient und wir hoffen, dass der Fanclub stetig wächst und dann auch ein Mitglied dabei ist, das die Möglichkeit hat, Dich (ganz groß) „rauszubringen“. Toi, toi toi!

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    1. Vielen lieben Dank für deine guten Wünsche, MissLazy! Mein Mann redet gern vom „großen Durchbruch“ und ich sage dann immer, dass mir auch ein „kleiner Durchbruch“ reichen würde. Das fällt mir nur gerade zu deinem Zusatz in Klammern ein.
      Was Baby Boss betrifft, so macht es mir auch einfach großen Spaß mitzuerleben, dass sie in all dem so aufgeht. Die Musical-AG ist für dieses Schuljahr zwar zu Ende, aber sie freut sich schon auf die nächste Spielzeit, wobei dann leider einige sehr talentierte Jungen aussteigen, weil sie aufs Gymnasium gehen. Ob es dafür Ersatz geben kann, wage ich zu bezweifeln.
      Was ich glaube: Erfolg und Spaß in Bereichen, die man sich selbst aussucht, trösten dann vielleicht auch über die eine oder andere Schulnote hinweg, die man sich besser gewünscht hätte.
      Herzliche Grüße, Sophie

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  4. Liebe Sophie,

    Ich gratuliere dir zu deinem neuen Blog und teile die Begeisterung. Ich fand „Baby Boss“ als Fürstin im Musical ganz toll. Es ist kein Wunder, dass sie über die Schauspielerei nachdenkt und welchen Spaß man seinem Publikum machen kann. Gemeinsam mit anderen etwas auf die Bühne zu bringen, ist eine gute Erfahrung. Und wenn man es schafft, trotz „Herzklopfen“  in eine andere Rolle zu schlüpfen und dabei viel über sich selbst erfährt, dann wird das Selbstbewusstsein gestärkt.

    Dies gilt sicher auch fürs Schreiben. Liebe Sophie: dein Blog, deine Geschichten und Romane sind ein wichtiger Teil von dir. Du machst dich „sichtbar“ und gibst viel von dir preis.  

    An den Kommentaren zu deinen Beiträgen, ist zu sehen, dass andere deine Erfahrungen gerne mit dir teilen. Mach weiter so!

    Ich habe letztens einen Film über eine junge Autorin gesehen, der mich sehr berührt hat. Ich musste dabei an dich denken. Die Autorin erfährt darin von den Menschen, denen sie, bei ihren Recherchen begegnet, deren Geschichte, Ängste und Erfahrungen. Die meisten Schauspieler in diesem Film kannte ich aus anderen Rollen und war begeistert von deren Wandlungsfähigkeit.

    Und hier schließt sich für mich der Kreis zwischen: 

    „Schauspielerin und Autorin“. Beide wollen andere Menschen erreichen. Niemand schreibt für sich allein, niemand spielt gerne ohne Publikum.

    Es grüßt recht herzlich der „Follower“

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    1. Lieber Follower, solche Kommentare wie deiner sorgen mit dafür, dass ich beim Schreiben am Ball bleibe. Wenn ich merke, dass mein eigenes Teilen und Teilhabenlassen bei anderen etwas bewirkt, dass sie darüber nachdenken, dass ihnen eigene Geschichten dazu einfallen, dass sie sich in irgendeiner Weise davon „berühren“ lassen.
      Und deshalb hat mir auch der letzte Absatz so gut gefallen. Denn du hast recht: „Schauspielerin und Autorin. Beide wollen andere Menschen erreichen. Niemand schreibt für sich allein, niemand spielt gerne ohne Publikum.“ Darüber habe ich viel nachgedacht. Danke für den Input. Danke fürs Lesen.
      Es grüßt ebenso herzlich zurück: Sophie

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