oder: Mental Overload
Achtung! Ich schreibe jetzt mal etwas total Unemanzipiertes. Ich stelle es mir total schön vor, nicht mehr arbeiten zu gehen, sondern mich von meinem Mann finanzieren zu lassen. Dann hätte ich ausreichend Zeit, um mich um unsere Kinder, den Haushalt und all die anderen Sachen zu kümmern, die auf meiner täglichen To-do-Liste stehen. Ich stelle mir das schön vor, weil mir manchmal alles über den Kopf wächst. Der Spagat macht mir zu schaffen: zwischen meiner eher anspruchsvollen Teilzeittätigkeit und dem Anspruch, den ich an mich als Mutter und an mein Leben als solches habe. Mir fällt es schwer, alles unter einen Hut zu kriegen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich in keinem anderen Punkt in meinem Leben mehr zu scheitern drohe als in diesem. Geht das nur mir so?
Dass der Spagat schmerzt, merke ich vor allem, wenn meine Töchter Ferien haben und mein Arbeitstag um 7 Uhr beginnt, damit ich am Mittag meinen Computer herunterfahren kann, um schöne Dinge mit ihnen zu unternehmen – oder einfach nur zum Kieferorthopäden oder Hautarzt zu gehen.
Vor Wochen schon hatte ich für diesen Montag einen Zahnarzttermin für Baby Boss und mich vereinbart. Wir sollten zeitgleich zur Prophylaxe kommen, so würde ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe erwischen. Es hilft mir, wenn ich meinen Alltag auf diese Weise organisieren kann, es spart mir Wege und damit Zeit.
Während einer Teams-Besprechung, an der ich am Montagvormittag in unserem Wohnzimmer im Homeoffice sitzend teilnahm, klingelte unser Festnetztelefon. Für einen kurzen Augenblick dachte ich: Das kann doch jetzt nur ein Anruf aus den 90-ern sein. Wer sonst würde heutzutage noch auf dem Festnetz anrufen? E.T. vielleicht oder David Hasselhoff? Aber es war eine Angestellte der Zahnarztpraxis, die mir mitteilte, dass einer der beiden Termine leider ausfallen müsste. Personalmangel. Aber ich könne trotzdem kommen und Baby Boss am Mittwoch um 12.30 Uhr. Am Mittwoch um 12.30 Uhr wollte ich im Büro sein, also im echten. Und trotz Teilzeittätigkeit und Arbeitsbeginn um 7 Uhr würde ich unmöglich zu dieser Uhrzeit mit Baby Boss beim Zahnarzt auftauchen können. Ich sagte: „Ich bin gerade in einer Besprechung. Ich rufe zurück.“ Ich brauchte Bedenkzeit.
Könnte nicht Belle mit Baby Boss zum Zahnarzt gehen oder meine Mutter? Sollte ich einen anderen Termin vereinbaren, an dem Baby Boss und ich beide behandelt werden können? Nach einigem Hin und Her entschied ich mich, den Termin mit Baby Boss wahrzunehmen und für mich einen neuen zu suchen. Sich Wege und damit Zeit sparen zu wollen, wird vielleicht total überschätzt.
Ich schaffte es an besagtem Montag nicht, meine tägliche Arbeitszeit einzuhalten. Aber das ist nicht schlimm, wir haben Gleitzeitkonten. Ich machte minus, wie es im Gleitzeitjargon heißt.
Auf dem Rückweg vom Zahnarzt besuchten Baby Boss und ich einen Spielzeugladen bei uns im Kiez, für den selbst meine jüngste Tochter langsam zu alt wird. Wir fühlten uns dort dennoch sehr wohl und Baby Boss fragte: „Weißt du noch, wie wir hier früher immer diese Geburtstagsboxen zusammengestellt haben?“ Das konnte man tun: für die Geburtstagsfeier des eigenen Kindes Geschenke in eine Kiste legen – Bücher, Hörspiele, Stickeralben, Buntstifte – und die Gäste suchten etwas aus, kauften es und schenkten es dem Geburtstagskind bei der Feier. Und ich erinnerte mich daran und freute mich, dass Baby Boss es auch tat. Später kaufte sie ein Sticker-Album, das ich bezahlte.
An diesem Nachmittag machte ich plus auf dem Konto, auf dem ich gemeinsame Zeit mit meinen Töchtern sammle. Ich war mit Baby Boss unterwegs, einem der drei tollsten Mädchen der Welt.
Vor Dienstag hatte ich ein bisschen Bammel. Denn ich sollte nicht nur meine täglichen sechs Stunden arbeiten (freitags habe ich frei), sondern nachmittags gleich zwei Arzttermine wahrnehmen: Einen um 14 Uhr mit Baby Boss bei der Kieferorthopädin und einen um 16.10 Uhr mit Supergirl bei der Hautärztin. Das war übrigens der Tag, an dem ich mir mal wieder wünschte, meinen Job an den Nagel hängen zu können, um mich meinem Leben als Mutter und Hausfrau zu widmen. Aber die Arbeit in der Wäscherei, die ich nebenher betreibe, ist leider nicht so lukrativ wie erhofft. Ich glaube zwar, dass wir auch OHNE mein Gehalt gut leben könnten, aber wiederum nicht so gut, wie wir es MIT meinem Gehalt tun.
Ich rockte also meine Arbeit runter (umgangssprachlich für: etwas in Eile erledigen), um pünktlich um 13.45 Uhr mit Baby Boss zur Kieferorthopädin aufzubrechen. Während wir im Wartezimmer saßen, fielen mir ein paar aufgekratzte Stellen an Baby Boss‘ Kopfhaut auf. Ich wusste in dem Moment, dass ich zwischen Arzttermin eins und Arzttermin zwei auch noch eine Läusekontrolle würde durchführen müssen: Strähne für Strähne des weit über schulterlangen Haares unter unserer Stehlampe im Wohnzimmer abteilen, Haare checken, Kopfhaut checken, besonders hinter den Ohren und im Nacken. Ich könnte das in der Zeit machen, in der ich eigentlich einen Kaffee hatte trinken wollen, überlegte ich mir. Auch Kaffeetrinken wird womöglich überschätzt.
Bei der Kieferorthopädin ging es wider Erwarten schnell. Man kann sagen: Baby Boss und ich hatten ein bisschen Zeit geschenkt bekommen. Sollte ich die für die Läusekontrolle nutzen?
Auf dem Rückweg kamen wir am Ziegenspielplatz vorbei, den wir so nennen, weil er neben einem Pflegeheim liegt, zu dem ein Ziegengehege gehört. Baby Boss wollte kurz auf dem Klettergerüst spielen. „Mäh!“, hörten wir plötzlich von nebenan. „Wollen wir rübergehen?“, fragte ich. „Zu den Ziegen?“ „Ja“, sagte Baby Boss. „So wie früher.“ Eine der beiden Ziegen kam zum Gitter gelaufen und wollte minutenlang von Baby Boss gestreichelt werden. Meine jüngste Tochter hockte vor dem Gehege und sah glücklich aus. Die Ziege sah glücklich aus und ich wahrscheinlich auch, während ich wieder ein bisschen plus auf dem Gemeinsame-Zeit-Konto sammelte.
Noch später hatte ich den Hautarzttermin mit Supergirl. Wir mussten dorthin laufen (12 Minuten), eine Weile warten (30 Minuten), wir sprachen mit der Ärztin und Supergirl wurde untersucht und beraten (10 Minuten). Dann liefen wir wieder zurück (11 Minuten). Ich verbringe nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit mit Supergirl, sie trifft sich oft mit Freundinnen, so wie ich es in ihrem Alter getan habe, sie ist oft beim Sport, sie schaut gelegentlich auf ihr Handy. Ich genieße die gemeinsame Zeit mit ihr, selbst wenn es sich um einen Arzttermin handelt, selbst die Zeit im Wartezimmer genoss ich, als Supergirl über Microneedling referierte und ich dachte: „Das brauche ich auch.“
Die Läusekontrolle, die ich zwischen Kieferorthopädie und Hautarzt durchführte, war übrigens negativ, also positiv, also keine Läuse. Beim Zahnarzt brauchte Baby Boss einen Folgetermin, den ich vor Ort vereinbarte. Für mich auch einen, denn meiner war ja abgesagt worden. Ich konnte beide Termine nicht miteinander verbinden, würde also zweimal dorthin gehen müssen. Zwei Chancen mehr, auf dem Rückweg bei den Ziegen vorbeizuschauen. Einmal mit Baby Boss, einmal ohne sie.
Mein Mann arbeitet in Vollzeit. Er geht so gut wie nie mit unseren Töchtern zum Arzt. Er verdient mehr, aber er verpasst etwas.
So viele meiner Gefühle in einem Beitrag vereint. Diese Zerrissenheit scheint also nicht nur mich so oft zu beschäftigen. Danke!
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Danke dir für deinen Kommentar, liebe Antonia. Daran merke ich, dass ich eben auch nicht allein bin mit diesen Gedanken und Empfindungen.
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Hm …ich weiß nicht was besser ist eine Mutter die nur Hausfrau und Mutter ist oder eine die
Vollberufstätig ist oder eine die Teilzeit arbeitet.
Was ich weiß, ist dass ich eine Mutter hab die sich für Hausfrau und Mutter entschied in den 60ern und das immer so vertrat.
Ob ich eine glückliche Mutter hab, hm…glaub ich nicht.
Zu meiner Zeit irgendwie nicht mehr.
Vielleicht liegt es daran dass ich so viel jünger bin als die 2 großen oder daran dass meine Mutter sich das mit Mir anders vorstellte.
Genieß die Zeit die Du mit Ihnen verbringen kannst .
💛
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Was heutzutage gut ist und besser als damals: Frauen können und dürfen (mehr oder weniger) gleichberechtigt ihren Beruf ausüben und sind nicht „ans Haus gefesselt“. Aber die Entscheidung für einen Job ist nicht immer eine freie, denke ich. Von nur einem Gehalt gut leben zu können, geht eben nur, wenn das richtig hoch ausfällt. Das gibt es wahrscheinlich nicht allzu oft. Also besteht eben doch ein gewisser Zwang, um sich sein Leben finanzieren zu können. Von Alleinerziehenden ganz zu schweigen: Die haben erst recht keine Wahl und sind noch dazu für alle oder zumindest viele Belange rund um die Kinder allein verantwortlich.
Mir geht es übrigens so: Wenn ich mit meinen Kindern zusammen bin, habe ich nie das Gefühl, lieber woanders sein zu wollen. Für die Zeit, in der ich arbeite, kann ich das leider nicht immer behaupten. 😉
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Meine Mutter betont immer wieder dass Sie es selber ausgesucht hat und mein Vater es Ihr nie vorgeschrieben hat.
Schließlich hat Papa Sie so im Arbeitsleben stehend kennen gelernt.
Die konnten sich das irgendwie immer leisten.
Als Maurer verdiente Papa ganz gut.
Später als Beamter eh.
Meine Omas waren trotz ihrer 6 und 3 Kinder beide voll berufstätig.
Den beiden blieb eh nichts anderes übrig.
Dadurch dass meine Eltern früh bauten und das Grundstück gepachtet haben.
Konnten Sie sich vieles leisten was andere nicht konnten.
Trotzdem war meine Mutter keine glückliche Hausfrau.
Ich glaube die wäre viel lieber arbeiten gegangen.
Sie sagte mal wenn Sie Papa nicht kennen gelernt hätte, hatte Sie ein ähnliches Leben wie meine Schwester geführt.
Sie hätte als Rechtsanwaltsgehilfin bestimmt nicht schlecht verdient.
Ich glaub Sie wäre nach Hamburg gezogen und wäre Single ohne Kinder geblieben und wäre viel gereist.
Alles das was Sie so nicht konnte.
Jetzt mit über 80 denkt Sie über sowas nach.
Das ist nicht besonders gesund glaub ich.
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Ich verstehe, was du meinst. Ich glaube, es ist wichtig zu versuchen, im Hier und Jetzt glücklich zu sein, um sich nicht im Alter die Frage stellen zu müssen, was im Leben hätte besser/anders laufen müssen oder können.
Ich arbeite eigentlich auch gern, aber manchmal frisst es mich eben ein bisschen auf oder sagen wir mal so: es knabbert mich zumindest an. Ich hätte gern noch mehr möglichst stressfreie Zeit mit meinen Kindern, denn sie sind wirklich alle drei große Schätze und sie bereichern mein Leben und inspirieren mich. Die Zeit mit ihnen finde ich total wertvoll.
Wenn ich nicht arbeiten würde, hätte ich mehr Zeit zu schreiben. Auch das stelle ich mir sehr schön vor.
Wenn ich nicht arbeiten würde, hätten wir aber nicht so viel Geld, um zu reisen. Das stelle ich mir doof vor. 😉
Liebe Grüße!
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Alles im Leben hat 2 Seiten…😉
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