oder: The Outtakes, Part I
Ich finde, Urlaube leben auch ein Stück weit davon, dass nicht immer alles nach Plan verläuft. Mein Mann spricht in diesem Zusammenhang gern von „Fails“. Das sind Episoden, die einem in dem Moment, in dem sie passieren, zwar den letzten Nerv rauben, an die man sich aber im Nachhinein am besten erinnert und dann vielleicht sogar darüber lachen kann.
Ich habe ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu unserer Kieferorthopädin, das habe ich schon mal am Rande erwähnt. Ich bewundere es, dass sie aus schiefen Zähnen gerade machen kann, aber ich fühle mich ihr und ihrer Kunst auch ein bisschen ausgeliefert. Es gab eine Zeit, in der ich im Wochenrhythmus mit Supergirl oder Baby Boss in der Praxis war, weil sich im Minutentakt Drähte der festen Zahnspangen gelöst haben. Das hat mich damals wirklich an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht. Dieses Drähte-Herausrutschen passierte auch manchmal im Urlaub, dann wurde ich von einem Gefühlschaos übermannt, das Hilflosigkeit und Ärger umfasste.
Unsere Fahrt nach Cornwall dauerte lang, sehr lang, und wir waren noch nicht angekommen, als wir einen – ich nenne es jetzt mal – kieferorthopädischen Notfall hatten. Es passierte an unserem dritten Reisetag, wir fuhren von unserer Unterkunft in der Nähe des Flughafens Gatwick in Richtung Penzance und machten eine Rast in den wunderschönen Gärten von Barrington Court. Bevor wir uns auf die bunte Pflanzenpracht stürzten – ich begeistert, die Mädchen verhalten –, breiteten wir unsere Picknickdecke im Schatten eines Baumes aus und aßen ein bisschen von unserem mitgebrachten Proviant und zwei typisch kornische Pastys, mit Fleisch oder Käse und Zwiebeln oder Gemüse gefüllte Teigtaschen. Supergirl aß Maiswaffeln, wenn ich mich richtig erinnere, und sagte plötzlich: „Der Bogen ist abgegangen.“ Der Bogen aus festem Draht befindet sich an ihrem Gaumen und ist von einer Seite zur anderen von Backenzahn zu Backenzahn gespannt, er wölbt sich also in ihrem Oberkiefer. Irgendwie versucht man ja, so eine Nachricht für den Bruchteil einer Sekunde zu ignorieren, wendet den Blick ab und beißt nochmal herzhaft in seine Pasty, bevor sie kalt wird. Dann überkommt einen aber doch ein Gefühl von Verantwortungsbewusstsein und Neugierde. „Was heißt das: Der Bogen ist abgegangen?“ „Naja, der Bogen ist abgegangen. Vielleicht lässt er sich ja wieder feststecken.“ Es hatten sich wie gesagt schon oft Drähte gelöst, die ich wieder befestigt habe, mit bloßer Hand, ich habe es darin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Aber noch nie hatte uns der Bogen so etwas angetan. „Na, dann schluck‘ jetzt mal runter, ich schaue gleich nach.“

Der Bogen war an einer Seite abgebrochen, an der anderen nach wie vor fixiert, ganz fest in einer Metallöse. In solchen Fällen sollte man Ruhe bewahren und den Schaden begrenzen, das ist wichtig, das gehört zu den vielen guten Sachen, die ich von meinem Vater gelernt habe. Es war klar, dass weder mein Mann noch ich den Bogen wieder langfristig befestigen würden können. Einen Kieferorthopäden in England aufsuchen? Unsere Vermieter nach einer Zange fragen und den Bogen kappen? Möglich, aber noch waren wir in Barrington Court, das wir noch nicht besichtigt hatten. Wir entschlossen uns dazu, das Problem zu vertagen, bis wir unseren Besuch beendet hatten.

Das Eis, das wir zum Abschied kauften, konnte Supergirl schon nicht mehr richtig essen. Der Bogen war nicht mehr nur an einer Seite lose, sondern baumelte jetzt in ihren Mundraum hinunter. Supergirl war kurz davor zu weinen.
Wir standen auf dem Parkplatz an unserem Auto, ich holte die Nagelschere aus unserem Waschbeutel und versuchte, den Draht zu kappen. „Pass auf, dass du Supergirl nicht wehtust“, riet mein Mann. Was für ein hilfreicher Hinweis, dachte ich, und gleich darauf: Ruhe bewahren und Schaden begrenzen. Belle und Baby Boss aßen Supergirls Eis auf. Die Sonne schien heiß auf unsere Köpfe. Die Nagelschere war kein geeignetes Werkzeug.
Mein Mann holte den Verbandkasten aus der seitlichen Klappe im Kofferraum und wühlte sich durch die luftdicht verpackten Verbände, bis er die Schere fand, doppelt so groß wie die Nagelschere und deutlich robuster. Dennoch: eine Zange war es nicht.
Wir beugten uns jetzt beide über Supergirl, wie eine Kieferorthopädin und ihr Assistent, ein eingespieltes Team, Schere, Tupfer, Nadel. Es sind diese Minuten, die einem wie Stunden vorkommen, in denen man sich fragt, was man da eigentlich genau macht: auf der Durchreise, am Parkplatz, ohne vernünftiges Werkzeug im Mund seiner Tochter herumfuhrwerken. Selbst Reifenwechseln stelle ich mir irgendwie planvoller vor.
Um es kurz zu machen: Es gelang! Wir konnten den Draht tatsächlich aus der Öse herauswinden oder abbrechen, so genau weiß ich das schon gar nicht mehr. Supergirl war erleichtert und wir waren es auch. Wir setzten unsere Fahrt fort und erwähnten den Bogen nie wieder während des Urlaubs.
Immer, wenn ich in Zukunft an die wunderschönen Gärten von Barrington Court denken werde, werde ich im Stillen ein Loblied auf den Verbandkasten singen, den wir noch nie zuvor gebraucht haben – und hoffentlich auch niemals wieder brauchen werden.


Gut, wenn sich auch kniffligere Probleme mit „Bordmitteln“ und im Team lösen lassen! Danke für den Blog und die tollen Fotos, so einen Garten hätte man auch gern…
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Supergirl hat mir so leid getan, ich hoffe, dass sie so einen Bogen nie wieder tragen muss!!!
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