Zum ersten Mal: Warten auf Leon

oder: Noch Platz im Herzen

Ich kann eine ziemliche Nervensäge sein. Gestern zum Beispiel saß ich mit meinen drei Töchtern in unserer Küche und Belle erwähnte einen Jungen aus ihrer Klasse. Ich habe danach angeblich irgendein Gesicht gemacht, in mich hinein gelächelt oder so, dabei wollte ich wirklich ganz neutral schauen. Bitte glaubt mir! Aber wisst ihr, wie schwierig das ist, kein Gesicht zu machen? Wenn man sich doch insgeheim denkt, dass dieser Junge genau der Richtige für Belle wäre? Vielleicht denke ich es auch nicht nur insgeheim, sondern habe es sogar mal beiläufig erwähnt. Ein- oder zweimal. Vielleicht sogar in Belles Gegenwart. Wie gesagt: Ich kann eine ziemliche Nervensäge sein.

Vor einiger Zeit erzählte mein Mann von einem Gespräch, das er mit einem Kollegen geführt hatte. Unter anderem ging es um dessen großes Auto. Es sei wichtig, dass fünf Menschen gut darin Platz hätten, hatte der Kollege gesagt. „Wieso?“, hatte mein Mann gefragt. „Du hast doch nur zwei Töchter.“ Das stimme, hatte der Kollege gesagt, aber die Größere sei seit Jahren mit Leon zusammen und der solle schließlich auch bequem mitfahren können. Die Frau des Kollegen sei übrigens „schockverliebt“ gewesen in den jungen Mann. Das würde sich unter anderem darin äußern, dass seine Frau gut für Leon sorgt. Der Kollege solle zum Beispiel beim Einkaufen an dessen Lieblingsgetränk denken. Ich glaube, es war Spezi oder Miranda oder so. Neulich wollte der Kollege eine Fischsuppe kochen, aber da erinnerte seine Frau ihn daran, dass Leon doch keinen Fisch möge.

Seitdem weiß ich, was mit mir los ist. Ich möchte auch so einen Leon haben. Gern auch eine Lea, ich bin da nicht auf ein bestimmtes Geschlecht festgelegt. Ich glaube, dieser Leon/Lea-Wunsch hat ein bisschen damit zu tun, dass ich gern noch ein weiteres Kind gehabt hätte. Oder vielleicht sogar weitere Kinder. Ich habe mich das leider nicht getraut, aber mein Herz ist recht geräumig und ich könnte mir gut vorstellen, dass neben meinen Töchtern und meinem Mann, meiner Familie und seiner Familie und meinen wundervollen Freundinnen und unseren Kaninchen Jimmy und Hermine noch Platz ist für Leon und Lea und wie sie alle heißen mögen. Wie gut, dass ich drei Töchter habe und damit im besten Fall irgendwann einmal drei Schwiegerkinder haben könnte.

Und wenn zumindest bei einer meiner Töchter ein Leon dabei wäre, fände ich das nicht schlecht. Ich habe nämlich ganz offensichtlich keinen Sohn und manchmal denke ich, dass das ein bisschen schade ist. Interessanterweise habe ich mir, nachdem Belle auf der Welt und ich wieder schwanger war, vorgestellt, dass es schön wäre, ein weiteres Mädchen zu haben. Während meiner dritten Schwangerschaft ging es mir ebenso. Und unser viertes Kind wäre bestimmt auch eine Tochter geworden und wir hatten auch schon einen Namen. Vielleicht hätten wir aber auch Zwillinge bekommen: einen Jungen und ein Mädchen. In der Theorie stelle ich mir das traumhaft vor. Vor ein paar Wochen bin ich auch auf einen guten Jungennamen gestoßen, als wir das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft gesehen haben. Und ich meine nicht Lionel und erst recht nicht Kilian! Als ich den Namen neulich beim Abendessen erwähnte, sagte Baby Boss so etwas wie: „Geht gar nicht!“

Vor langer Zeit habe ich gedacht, dass ich irgendwann einmal einen Sohn haben würde. Es ist nicht so, dass ich mir ausdrücklich einen gewünscht hätte, ich habe es nur vor meinem geistigen Auge gesehen. Ich dachte, es passt. Ein kleiner Junge, der meinem Mann ähnlich sähe. Der vielleicht Fußball spielen würde. In meiner Vorstellung trug er ein blaues Trikot und eine blaue Hose, die bis zu den knubbelig-kindlichen Knien reichte. Vielleicht bilde ich mir das mit der Fußballkleidung aber auch nur ein, vielleicht kann ich heute nicht mehr wirklich rekonstruieren, welche Details ich damals gesehen habe, weil die Bilder, die ich jetzt im Kopf habe, die von damals überlagern.

Ich habe mich immer gut mit Jungs verstanden habe und hatte manchmal sogar mehr mit ihnen zu tun als mit Mädchen. Die Wochenenden meiner Kindheit habe ich gefühlt alle auf dem Rugbyplatz verbracht und meinem großen Bruder und seinen Freunden beim Spielen zugeschaut. Später habe ich viel Nachhilfe gegeben, all meine Schüler waren Jungs. Irgendwie schien es mir naheliegend, auch irgendwann einen Sohn zu haben. Jetzt habe ich keinen und bin natürlich trotzdem überglücklich. Meine drei Töchter sind das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist. (Mein Mann natürlich auch!) Das denke ich zum Beispiel in Momenten wie gestern, in denen wir alle zusammen in der Küche sitzen und quatschen und ich damit beschäftigt bin, kein Gesicht zu machen.

Und vielleicht kommt ja eines schönen Tages auch noch ein Leon um die Ecke. Unser Auto ist jedenfalls groß genug. Mein Herz erst recht.

8 Kommentare zu „Zum ersten Mal: Warten auf Leon“

  1. So ähnlich dürfte es vielen Eltern gehen, die heranwachsende Kinder haben: Darauf warten, dass das erste Mal der Schwiegersohn / die Schwiegertochter, noch etwas schüchtern, den Kopf zur Tür reinsteckt. Ich wünsche dir Kurzweil beim Warten und deinen Töchtern Geduld, dass du sie mit deinen Erwartungen nicht zu sehr unter Druck setzt 😉

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  2. Und wie soll das erst werden, wenn die Schwiegerkinder mit am Tisch sitzen, und wir „komische“ Gesichter machen. Ein bisschen schwierig stelle ich es mir vor, dann locker und entspannt zu sein. Und ihn/sie nicht immer von der Seite anzugucken, voller Fragen im Blick. Oder dumm zu grinsen. Hach. Wir werden es erleben, wenn es so weit ist. In der Zwischenzeit zeige ich manchmal der Großen junge Männer, die mir gefallen, um ihre geschmackliche Zustimmung zu erheischen. Meist macht sie dann ein Gesicht, die wären doch viel zu alt. Oder zu jung. Je nachdem. Leider zeigt sie nie Fotos von den Jungs, für die sie schwärmt. Wir lassen uns überraschen! Und versuchen, keine allzu großen Nervensägen zu sein. 😉 Habt ein schönes Wochenende! LG Anke

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    1. Meine Große lässt sich leider auch gar nicht in die Karten schauen. Umso gespannter bin ich – und übe derweil mein Pokerface. Sonst könnte es mir nämlich auch passieren, dass ich dumm grinse, wenn er oder sie erst mal mit am Tisch sitzt. Noch nerviger als ich werden aber vielleicht Baby Boss und Supergirl sein. Wer weiß?
      Euch auch ein schönes Wochenende und herzliche Grüße nach Italien!

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  3. Da kann ich dir nur wünschen, dass deine Mädchen so viel Glück mit ihrem Leon haben, wie du mit deinem und ich mit meinem Schwiegersohn.
    Es ist schön, wenn man sich mit Kindern und Schwiegerkindern gut zu versteht und ich genieße unser harmonisches Familienleben immer wieder.

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  4. Liebe Sophie, was für ein wundervoller Beitrag! Und weißt Du weshalb? Er versöhnt Dich mit Deinem vorherigen Beitrag. Irgendwann sitzen auf der Rückbank neben Euren Perlen auch deren Freunde. Und, wer weiß, irgenwann Enkel, die in Deinem großen Herzen Platz einnehmen können. Herzliche Grüße, Norman

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