oder: Ständig ist irgendetwas
Um Ostern herum waren wir für eine Woche im Urlaub an der Ostsee. Vorher haben unsere Töchter für einige Tage ihre Tante besucht, die in München lebt. Sie kamen erst am Tag vor unserer Abreise zurück, ich habe zwischen Reise und Reise viel Zeit mit meiner Waschmaschine verbracht, noch mehr Zeit als sonst. Die letzte Trommel sollte sich gegen 20 Uhr drehen, aber sie tat es nicht. Es war nur eine halbe Ladung aus dunkler Wäsche, die regungslos in der Maschine verharrte. Ich schaute durch das Bullauge zu ihr hinein, sie schaute anklagend heraus, halb nass. Es befand sich auch ein neues Kleid darunter.
Die Waschmaschine ist so alt wie Belle, also 16 ½. Sie hat mir immer treue Dienste erwiesen. Ich würde fast sagen: Ich hatte sie gern. Dass sie mich am Abend vor unserem Urlaub nach all den Jahren im Stich ließ, verzieh ich ihr umgehend. Mein Mann zog den Stecker und die Maschine ließ sich entriegeln. Die Wäsche warf ich hinüber in die Badewanne. Dann steckten wir sie in einen Plastikbeutel und mein Mann fuhr mit ihr in einen Waschsalon.
Zuvor – und das möchte ich nicht verschweigen – reinigte er noch das Flusensieb und den Wasserzufluss, viel Wasser lief dabei in unser Bad und wir hatten alle Hände voll damit zu tun, die Überschwemmung zu beseitigen. Unsere Kinder schauten nacheinander bei uns vorbei und fragten, ob wir Hilfe bräuchten. Es war Karfreitag. Gegen kurz vor elf kam mein Mann mit der gewaschenen Kleidung zurück, ich hängte sie auf den Wäscheständer, dann gingen wir schlafen.
Während unseres Urlaubs recherchierte mein Mann zu einer neuen Maschine, es sollte – wenn möglich – ein Testsieger der Stiftung Warentest sein. Aus verschiedenen Gründen ist mir deren Urteil wichtig. Ein Gerät wäre weiß gewesen, die Umrandung des Bullauges schwarz. Das gefiel mir nicht, ich wollte etwas Schlichtes, wir entschieden uns gegen den Kauf. Mein Mann bestellte eine andere Maschine.
Am Ostermontag entdeckte ich zufällig einen Knubbel in meinem Nacken, nicht groß, wohl weniger als ein Zentimeter im Durchmesser. Aber er gehörte dort nicht hin und begann mir Sorgen zu machen. „Lymphknoten sitzen höher“, sagten mein Bruder und meine Mutter, Buchhändler und gelernte Kinderkrankenschwester. Baby Boss recherchierte im Internet zur Lage von Lymphknoten im Kopfbereich. Ich hatte keinen Infekt, ich wusste nicht, ob es ein Lymphknoten war. In Prerow würde ich es nicht herausfinden, auch nicht mithilfe des Internets. Abweichungen meines Körpers vom Normalzustand sind für mich keine First World Problems.
Am Sonntag nach unserer Rückkehr fuhren wir nach langer Zeit mal wieder zu unserem Grundstück in der Nähe des Motzener Sees im schönen Brandenburg. Es gehört uns nicht, wir haben es nur gepachtet. Wir sind nicht reich. Also: nicht so reich. Mein Mann stellte das Wasser wieder an, ein Moment, der uns jedes Frühjahr aufs Neue kurz angespannt werden lässt. Einmal war über den Winter ein Rohr im Badezimmer geplatzt, besser gesagt: es hatte einen Riss bekommen. Wir konnten das Bad nicht benutzen, bis ein Handwerker das Rohr ausgetauscht hatte. Diesmal schien alles gut zu laufen. Mein Mann drückte die Klospülung, Gott sei Dank nur als Testlauf. Denn plötzlich lief das gesamte Bad mit Wasser voll, wir wussten gar nicht, woher das auf einmal kam. Es gibt einen Abfluss in der Dusche, wir konnten das Wasser dorthin umlenken, es war alles nicht so schlimm, nur eben wieder ein mit Wasser vollgelaufenes Bad wie im Zusammenhang mit der Waschmaschine beschrieben.
Als wir das Wasser aufgewischt hatten, betätigte mein Mann die Spülung erneut, damit wir sehen konnten, woher genau das Wasser kam. Die Kloschüssel war kaputt, ein großes Stück der Keramik im unteren Teil herausgebrochen. Jetzt konnte man es erkennen. Wir lenkten das Wasser noch einmal in den Abfluss, wischten noch einmal auf.
Am nächsten Tag ging ich mit meinen Sorgen im Schlepptau zum Arzt. Weil ich gesetzlich versichert bin, bleibt mir nur die Akut-Sprechstunde, auf einen Termin müsste ich monatelang warten. First World Problems. Wir leben in Deutschland. Es gibt Ärzte, die in fünf Minuten zu Fuß zu erreichen sind. Ich wartete fast zwei Stunden, was ich total in Ordnung finde, weil ich glücklich bin, dass sich überhaupt ein Arzt Zeit nimmt. Es war nicht der eigentliche, sondern ein junger Assistenzarzt, den ich sympathisch fand. „Nachtschweiß, plötzliche Gewichtsabnahme, Fieberschübe?“, fragte er mich und ich wusste, dass es mögliche Symptome für Lymphdrüsenkrebs sind. Ich verneinte. Er tastete die Stellen ab, an denen sich Lymphknoten befinden. Die Lage des Knubbels im Nacken fand er untypisch, ich konnte sehen, wie er auf seinem Bildschirm ein Schaubild zur Lage von Lymphknoten aufrief, wie es Baby Boss in Prerow getan hatte. Der Assistenzarzt sagte, dass er nicht denke, dass ich ernstlich krank sei, der eigentliche Arzt aber noch eine Ultraschallaufnahme machen sollte. Sicherheitshalber. Ich konnte nicht länger warten, weil ich eine Besprechung bei der Arbeit hatte. Außerdem würde unsere neue Waschmaschine geliefert werden. Ich sollte am nächsten Tag wiederkommen.
Als die Waschmaschine ankam, sah ich, dass in riesigen silbernen Buchstaben „Exclusiv“ auf dem Bullauge stand. Naja, dachte ich, kann man jetzt nicht mehr ändern. Ich vermisste meine alte Waschmaschine, aus der ich gerade noch rechtzeitig vor ihrem Abtransport eine schwarze Socke retten konnte. Am Montagabend stellten mein Mann und ich fest, dass wir vor Inbetriebnahme das Programm „Trommel reinigen“ laufen lassen und dazu Waschpulver verwenden sollten, das wir nicht hatten.
Am Dienstag schlichen meine Sorgen und ich erneut zum Arzt, ich kam diesmal sehr schnell an die Reihe. Der Arzt machte einen Ultraschall und vermaß den Knubbel, fand dann noch einen zweiten, der nach außen hin nicht zu ertasten war. Alles sah in Ordnung aus. „Kommen Sie trotzdem Anfang Juli noch mal zur Kontrolle. Falls die Knoten größer werden, natürlich früher.“ Dann schickte er mich zur Blutabnahme. Sicherheitshalber.
Es war Dienstagabend, als mein Mann und ich entdeckten, dass die Waschprogramme der Maschinen der neuen energiesparenden Generation rund drei Stunden dauerten. Ich hatte noch keine Wäsche nach dem Urlaub gewaschen, sie stapelte sich in unserem Schlafzimmer. Ich war froh, dass ich nicht in einem Land lebe, in dem ich kilometerweit zur nächsten Wasserstelle laufen muss, um dort meine Wäsche per Hand zu waschen. Vor einiger Zeit habe ich zum ersten Mal abends auf die Rückkehr meiner Teenager-Tochter gewartet. Jetzt konnte ich nicht ins Bett gehen, solange der Waschgang dauerte. Die Wäsche hing um viertel nach elf auf dem Wäscheständer.
Am Mittwochnachmittag sah ich, dass unser Kaninchen Jimmy Probleme hatte, sein Gleichgewicht zu halten. Er hoppelte bedröppelt in das Außengehege und trank Wasser, was er sonst nie tut. Ich kenne die Symptome besser als die Lage der Lymphknoten im Bereich des Kopfes. Es sind die für Enzephalitozoonose.
Am Donnerstag arbeitete ich, schlug beim Nachlassgericht eine Erbschaft aus, vereinbarte einen Termin beim Tierarzt, arbeitete wieder. Ich rief bei meinem Arzt an und fragte nach meinen Blutwerten, die alle im grünen Bereich waren. Die Sorgen, die mich betrafen, rückten ein bisschen von mir ab, die um unser Kaninchen blieben bestehen. Ich arbeitete.
Ich fuhr zu meiner Friseurin, um meinen Pony nachschneiden zu lassen. „Wie geht es dir?“, fragte sie und ich erzählte von der Waschmaschine, von Jimmy und davon, dass ständig irgendetwas los ist. „Das nennt man Leben“, zitierte sie ihren Mann. Das Pony-Schneiden dauerte nicht lang, einige Minuten nur, es waren gute Minuten. Am Ende umarmte sie mich und sagte dazu: „Power Drücker“.
„First World Power Drücker“ dachte ich im Nachhinein und freute mich über die zweite Reihe. Als ich zuhause ankam, wartete die fertige Waschmaschine auf mich. Exklusiv.
Umso weniger schwere Probleme man hat, umso schwerer wiegen die kleinen. Genau so etwas dachte ich heute Morgen mal wieder, im Stau stehend, während ich gleichzeitig die Nachrichten hörte und über hunderttausend ungelöste Fragen, meine eigene Situation betreffend, nachgrübelte.
Aber gut, dass deine Sorge um die Gesundheit wieder vom Tisch ist! Und ja, es sind oft Menschen in der „zweiten Reihe“, denen es gelingt, einem Mut zuzusprechen und die ein oder andere Sache weniger schwer zu nehmen. Hab ein entspanntes, sorgenfreies Wochenende, liebe Sophie!
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Liebe Anke, das wünsche ich dir auch von Herzen! 😘
Liebe Grüße aus dem Zug nach Bamberg!
PS Beim Thema Waschmaschine musste ich übrigens an dich denken. 😉
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Danke dir. Und ich fragte mich, ob sich dein Mann geopfert hat oder sehr gern das Abenteuer Waschsalon übernommen hat.😉
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Ich glaube, er hatte Sorge, dass es dann doch zu viel des Guten wäre, wenn ich auch noch in den Waschsalon hätte fahren müssen. 😉
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Der Mann deiner Friseurin ist ein Philosoph und mir sehr sympathisch!!!
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Auf jeden Fall! 🤓
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