oder: Sekretärin dringend gesucht!
Heute Mittag konnte man mich in Winterstiefeln und Daunenjacke durch Friedenau joggen sehen. Und zwar die etwa 350 Meter von unserer Haustür bis zu einem indischen Restaurant, in dem wir manchmal essen und das auf halben Weg zur Grundschule unserer beiden jüngeren Töchter liegt. Ich jogge gern, aber normalerweise natürlich nicht nur 350 Meter und auch nicht in Stiefeln und Jacke. Das unpassende Outfit war dem Umstand geschuldet, dass ich fast vergessen hätte, meine kleinste Tochter und eine ihrer Freundinnen pünktlich von der Schule abzuholen. Die Abholzeiten ändern sich so spontan wie das Wetter im Berliner April, mal komme ich nach der Hausaufgabenzeit um halb vier, mal nach der Chor-AG um Viertel vor drei, mal direkt nach der Schule um zwei oder vor der Hausaufgabenzeit um halb drei. Oft schreibe ich mir die Zeiten in meinen Arbeitskalender, um nicht durcheinanderzukommen. Heute hatte ich das nicht getan. Weil so viele Horterzieherinnen und -erzieher fehlen, sollte ich um 14 Uhr kommen, hatte mir aber aus unerklärlichen Gründen 14.30 Uhr gemerkt.
Um 13.57 Uhr saß ich im Homeoffice an meinem Rechner, sehr in einen Artikel vertieft, den ich dringend abgeben muss, als meine mittlere Tochter – wieder mal ganz mein Supergirl – aus ihrem Zimmer rief: „Musst du jetzt nicht Baby Boss abholen?“ Sie sagte natürlich nicht „Baby Boss“, aber das ist einer der zahlreichen Spitznamen meiner Jüngsten, den ich hier jetzt mal aus Datenschutzgründen verwende. „Baby Boss!“, schoss es mir durch den Kopf. „Baby Boss und ihre Freundin!“ Wie von der Tarantel gestochen sprang ich vom Wohnzimmertisch auf, stürzte in den Flur, schlüpfte in meine Stiefel, riss die Jacke vom Haken und war zur Tür hinaus.
Die Stufen nach unten flog ich mehr hinab als dass ich lief, vor der Eingangstür rannte ich fast meine große Tochter und ihre beste Freundin über den Haufen. Ich taumelte vorbei. „Bringst du mir eine Laugenstange mit?“, rief mir meine Große hinterher. Ich sah offenbar selbst rennend noch so aus, als hätte ich Nerven für Botengänge. „Nein!“, rief ich keuchend, da war ich gefühlt schon fast an der Ecke. „Ich –ich habe kein Portemonnaie dabei!“
Und – schwupps! – war ich mit wehendem Mantel abgebogen, nicht mehr zu sehen für meine Größte und ihre Freundin. Meine dicken Stiefel platschten laut auf die steinernen Platten des Bürgersteigs. Vielleicht war ich also für sie immerhin noch zu hören. Ein durch Friedenau trampelnder Glückselefant. „Gut, dass ich einigermaßen im Training bin“, dachte ich, auch wenn mich meine Corona-Infektion und die anschließende wochenlange Trainingspause ein ganz schönes Stück zurückgeworfen haben. Dennoch fragte ich mich, wie weit ich in diesem unglücklich gewählten Outfit wohl würde laufen müssen, um pünktlich zu sein. Beim Inder machte ich halt und schaute auf mein Handy: 13.59 Uhr. Ja, ich könnte es wagen, einen Gang runterzuschalten. Schließlich ist die Stunde erst um 14 Uhr zu Ende, die Mädchen bräuchten Zeit, um ihre Sachen zusammenzupacken, ihre Jacken zu holen und herunterzukommen.
Die zweite Hälfte des Weges lief ich mit zügigen Schritten und hellrotem Gesicht, ich rief Supergirl an und bedankte mich dafür, dass sie den Überblick über meine Termine bewahrt hatte, als es mir nicht gelungen war. Meine Mittlere hat auch sonst sehr viele Qualitäten, zum Beispiel räumt sie ab und zu ihr Zimmer oder unsere Küchenschränke auf, vorzugsweise das Süßigkeitenregal. Das sind immer schöne Momente: Ich mache die Schranktür auf und alles steht in Reih‘ und Glied. Keine Prinzenrolle, die einem auf den Kopf fällt, die Schokoladenweihnachtsmänner aus dem Vorjahr sind in einer Ecke versteckt, lose Bonbons in einer Tupperschüssel verstaut, auf der in ihrer Handschrift „Werther’s“ steht. Dafür hasst es meine Mittlere, den Tisch zu decken, wie sie sagt. Ich weiß nicht, ob ich so starke Gefühle für oder gegen einzelne Arbeiten im Haushalt hege, vielleicht fehlt mir ganz einfach die Kraft, das Wäschewaschen zu hassen.
Meine kleinste Tochter sagte vor kurzem zu mir, dass das Wäschewaschen streng genommen keine Arbeit im Haushalt wäre, ich würde es ja schließlich nicht selbst tun, die Maschine würde das übernehmen. Das ist natürlich auch wieder wahr. Vielleicht bin ich gar nicht so ausgelastet, wie ich immer behaupte.
Ich sollte also wahrscheinlich nicht schon wieder mit der Mental-Load-Leier kommen, aber der Alltag bringt mich doch immer wieder an meine Belastungsgrenze. Kommt eine neue Aufgabe auf meine innere To-Do-Liste, fällt eine andere hinten runter – ob erledigt oder nicht. Es ist, als könnte ich mir immer nur 133 Sachen gleichzeitig merken. Für die 134. Aufgabe ist dann einfach kein Platz mehr in meinem Gehirn.
Was ich zum Beispiel heute noch dringend erledigen muss: Den Artikel für die Arbeit nochmal in Ruhe lesen, beim Kieferorthopäden und beim Kieferchirurgen anrufen, die Küche aufräumen. Dann hängt noch ein einzelnes Gästehandtuch auf dem Wäscheständer, das ich bisher noch nicht geschafft habe, abzunehmen. Die restliche 60-Grad-Wäsche liegt schon in den Schubladen und Schränken ihrer Besitzerinnen. Aber, hey, nicht der Rede wert, oder? Schließlich hat ja eigentlich die Waschmaschine alles erledigt.
Wieder denke ich, dass ich eine Sekretärin oder Haushaltshilfe wirklich gut gebrauchen könnte. Vielleicht hat Supergirl Interesse an diesen Jobs. Gerade steht sie in der Küche und backt Quarkbrötchen.
PS Meine älteste Tochter hatte mir übrigens morgens angeboten, ihre kleine Schwester und deren Freundin von der Schule abzuholen. Vielleicht hätte ich das Angebot annehmen sollen…
Da kommt man ja selbst beim Lesen ganz „aus der Puste“. Prima Text, habe mich köstlich amüsiert. Aber die „Arbeitsteilung“ scheint noch ausbaufähig. Der „Follower“ grüßt recht herzlich.
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Puh, nochmal gut gegangen. Ich habe ein altes Handy als Agenda, da wird jeder (sich verschiebende) Abhol- und Bringtermin eingegeben und per Klingelton avisiert. Meine Urangst ist nur, dass dieses arme alte Nokia mal seinen Geist aufgibt.
Ich habe nämlich keinen Sekretär/Sekretärin, Mitdenken (apropos Mental Load) ist hier nicht angesagt. Du kannst dich glücklich schätzen! Brava, Supergirl. 💪
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Liebe Sophie-Supermama,
ja, du hast richtig gehört, du bist eine! Und ich vielleicht auch, *grins*.
Danke für diesen Artikel, nun fühle ich mich nicht mehr so allein.
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Und das Beste: jetzt ist auch noch das Internet ausgefallen, und zwar gerade, als ich den Artikel für die Arbeit gelesen habe! Aber das Gästetuch liegt in der Schublade, der Wäscheständer steht in der Kammer und beim Kieferorthopäden habe ich auch schon angerufen. Und euch allen schreiben kann ich, weil ich mobile Daten habe! 🤪
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Witziger Beitrag 😀
Fehlte nur noch, dass du beim Rennen in Richtung indisches Restaurant eine Telefonkonferenz mit Knopf im Ohr über dich ergehen lässt…
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Die hatte ich ja quasi kurz darauf mit meiner Sekretärin Supergirl. Was für ein wahnsinniger Tag! Dafür geht wenigstens das Internet wieder.
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